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Afghanistan: Nach Gefecht: Bundeswehr erschießt afghanische Soldaten

Die Bundeswehr in Afghanistan ist in eine neue Spirale der tödlichen Gewalt geraten. Im Zusammenhang mit dem schweren Gefecht am Karfreitag, bei dem drei deutsche Soldaten getötet wurden, erschoss die Bundeswehr aus Versehen mindestens fünf afghanische Sicherheitskräfte, die sich einer Fahrzeugkontrolle verweigert hatten.

Die im Gefecht mit radikal-islamischen Taliban getöteten deutschen Soldaten stammen aus einem Verband in Niedersachsen. Ihre vier schwer verletzten Kameraden sollen am Samstagabend auf dem Flughafen Köln/Bonn landen.

Nach unbestätigten Angaben dienten die deutschen Soldaten in der in Oldenburg und Seedorf bei Zeven stationierten Luftlandebrigade 31. Bei den bislang schwersten Gefechten der Bundeswehr in Afghanistan waren am Freitag in der Region Kundus insgesamt drei deutsche Soldaten getötet und acht verletzt worden.

Entwicklungsminister Dirk Niebel nimmt am Sonntag an der Trauerfeier für die getöteten Bundeswehrsoldaten in Kundus teil. Anschließend würden die Leichen in seinem Airbus nach Deutschland gebracht, hieß es am Samstag in Masar-i-Scharif aus seiner Delegation. Der FDP-Politiker wollte seine Afghanistan-Reise eigentlich schon am Samstag beenden. Nach seinen Angaben hätten die Leichen aber erst am Mittwoch ausgeflogen werden können, wenn er sie nicht auf seinem Heimflug mit einem der Bundeswehr-Airbusse mitnehmen würde.

Zahl der getöteten afghanischen Sicherheitskräfte unklar

Der tödliche Zwischenfall mit den afghanischen Sicherheitskräften ereignete sich, als die deutschen Kräfte das Lager Kundus verließen, um die zuvor im Gefecht eingesetzten Soldaten in ihren Stellungen abzulösen. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, sagte, es seien sechs Afghanen getötet worden. Die Bundeswehr blieb dagegen bei ihrer Darstellung von fünf Toten.

Die Afghanen waren laut Bundeswehr in Zivilfahrzeugen unterwegs gewesen und hatten trotz Aufforderung der deutschen Seite nicht angehalten. Daraufhin schoss ein Schützenpanzer vom Typ Marder auf eines der Fahrzeuge. Der Sprecher der Bundeswehr sagte, man bedauere den Vorfall zutiefst. Das Geschehen werde überprüft. Der Provinzgouverneur sprach von "Missverständnissen" und forderte, ausländische und afghanische Truppen müssten sich bei Militäroperationen dieser Art untereinander besser abstimmen.

Bereits 2008 war es nach einem Anschlag auf die Bundeswehr bei Kundus zur versehentlichen Tötung von Afghanen gekommen. Ende August hatte ein Bundeswehrsoldat an einer Straßensperre eine Frau und zwei Kinder erschossen, die in einem Auto auf den Kontrollpunkt zufuhren. Kurz zuvor war ein deutscher Soldat bei einem Bombenanschlag nahe Kundus getötet worden.

Seit 2002 wurden 39 deutsche Soldaten in Afghanistan getötet

Die Zahl der in Afghanistan seit Beginn des Einsatzes Anfang 2002 gestorbenen deutschen Soldaten stieg nach dem Gefecht an Karfreitag auf 39. Die Deutschen wurden nach Darstellung des Isaf-Kommandeurs für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, beim Minenräumen von etwa 100 Aufständischen angegriffen. Die Bundeswehr war im Laufe des mehrstündigen Gefechts rund sechs Kilometer westlich von Kundus mit mehreren Kompanien im Einsatz. Zu einer Kompanie gehören etwa 150 Soldaten. Die Truppe wurde aus der Luft unterstützt, laut Leidenberger wurden aber keine Bomben abgeworfen.

Es war der erste tödliche Zwischenfall unter Beteiligung deutscher Soldaten in Afghanistan seit dem verheerenden Bombardement zweier Tanklastzüge bei Kundus im September 2009. Bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftschlag waren bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden.

Mit Bestürzung und Betroffenheit reagierten Regierung und Opposition auf den Tod der drei deutschen Soldaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den "hinterhältigen Angriff" scharf. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach von einem "feigen und hinterhältigen Anschlag". Die Linksfraktion im Bundestag verlangte den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Kritik an der deutschen Strategie in Afghanistan äußerte der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat. "Mit solchen Vorkommnissen muss man immer rechnen, wenn man nicht mit der nötigen Zahl von Soldaten, der angemessenen Ausrüstung und der richtigen Taktik vorgeht", sagte Kujat der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung". Die Bundeswehr dürfe sich nicht von den Taliban das Geschehen diktieren lassen und sich nur gegen Angriffe wehren. Vielmehr müsse sie die Aufständischen initiativ und aktiv bekämpfen. (dpa)

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