zum Hauptinhalt

Politik: Afghanistan: Stimme der Frauen

Noch Anfang der Woche war Kabul eine Geisterstadt. Apathisch hockten die Menschen in den Trümmern.

Noch Anfang der Woche war Kabul eine Geisterstadt. Apathisch hockten die Menschen in den Trümmern. Frauen huschten, wenn sie überhaupt zu sehen waren, wie die Gespenster in ihren Burkas durch die Straßen, immer bemüht nur ja kein Geräusch zu machen mit ihren Absätzen. Auch das hatten die Taliban verboten. Selbst Lachen war nicht erlaubt. Fast unfassbar ist, wie sich Kabul in nur wenigen Tagen verändert hat. Die Trümmer, wohlgemerkt aus den frühen neunziger Jahren, beherrschen noch immer das Stadtbild, aber es herrscht wieder orientalisches Lärmen und Treiben.

Zum Thema Vereinte Nationen: Fünf-Punkte-Plan für Afghanistan Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Krieg in Afghanistan "Ich hätte selbst in meinen kühnsten Träumen nicht geglaubt, dass ich all das noch einmal erleben würde", sagt Jamila Mujahid. Sie ist eine der beiden weiblichen Nachrichtensprecherinnen, die vom Radiosender ganz bewusst vor das Mikrofon gesetzt wurden. Als ihre Stimme zum ersten Mal über den Äther ging, glaubte halb Kabul zu träumen. Unfassbar, eine Frauenstimme, ganz öffentlich nach fünf Jahren, in denen Frauen aus der Öffentlichkeit völlig ausgegrenzt worden waren. Hinter geschwärzten Fensterscheiben mussten sie sich sogar in ihrer Wohnung verbergen, das Haus durften sie nicht mehr verlassen, ihre Arbeit mussten sie aufgeben, auch wenn sie, wie die 30 000 Kriegerwitwen keinen männlichen Ernährer mehr hatten und die Kinder zu Hause vor Hunger weinten. Jobs, Schulen, Krankenhäuser, selbst die rudimentärste medizinische Versorgung waren für Frauen verboten. Hohe Absätze und Schminke wurden mit Auspeitschung bestraft.

"Es ist, als ob wir aus einem Totenreich wieder auferstanden sind. Die Burka war unser Gefängnis", sagt die Nachrichtensprecherin Jamila und Kollegin Farida Hila meint: "Ich habe fünf Jahre meines Lebens verloren, die wichtigen Jahre nach meinem Studium, in denen ich stumm und unsichtbar sein musste." Der Oberste Militär- und Sicherheitsrat, den die Nordallianz als provisorische Übergangsverwaltung installiert hat, setzte als erstes die schärfsten Taliban-Vorschriften außer Kraft: Frauen dürfen sich wieder ohne männliche Begleitung auf der Straße zeigen, sie dürfen wieder arbeiten, Mädchen können wieder zur Schule gehen.

Dennoch sind erstaunlich wenige Frauen in den Straßen Kabuls zu sehen. Noch seltener lassen sie sich unverschleiert, also ohne die alles verhüllende Burka, blicken, obwohl sie dieses Gewand als eine Schande empfinden. Der Grund: Sie trauen dem Frieden nicht, denn sie haben schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. "Wenn Gewissheit herrscht, dass die Taliban nicht mehr zurückkommen und wenn wir uns wirklich sicher fühlen können, dann lass uns weiter sehen", sagt eine. Und eine andere: "Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass endlich die Rechte der Frauen in diesem Land beachtet werden."

Wenn nun so hektisch nach einer neuen Regierung für Afghanistan gesucht wird, die so breit gefächert sein soll, wie noch nie und alle Teile der afghanischen Gesellschaft repräsentieren soll, dann ist nie von einer Beteiligung der Frauen die Rede, die nach über 20 Jahren Bürgerkrieg die Mehrheit der Bevölkerung stellen. "Meine lieben Söhne", begann Ex-König Zahir Schah am Mittwochabend seine Ansprache an die Nation, in der er seine baldige Rückkehr ankündigte. Auf all den Namenslisten für eine künftige Regierung, die herumgereicht werden, befindet sich nicht ein einziger Frauenname.

Gabriele Venzky

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false