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Bereit zur Verteidigung. Afghanische Regierungssoldaten halten wie an diesem Posten die Stellung. Aber die Angriffe der Taliban nehmen zu.

© Muhammad Sharif/dpa

Afghanistan: Taliban rücken vor - aber die Regierung behauptet sich

Die Taliban rücken in Afghanistan immer weiter vor – auch im ehemals deutschen Kommandogebiet. Aber die Regierung behauptet sich mit ihren Sicherheitskräften, die unter anderem von der Bundeswehr ausgebildet wurden.

Die jüngste Meldung der Bundeswehr in Afghanistan passt ins Bild. Kurz vor halb neun Uhr am vergangenen Freitag beschossen Aufständische den Flughafen des Bundeswehrlagers in Masar-i-Scharif, im Norden Afghanistans. Knapp 800 deutsche Soldaten sind dort noch stationiert und bilden afghanische Sicherheitskräfte aus. Sie sind Teil der Mission „Resolute Support“, die Anfang 2015 auf den Kampfeinsatz der Nato folgte. Seit dem Rückzug der internationalen Kampftruppen mehren sich die Hinweise, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter verschlechtert.

Vor wenigen Tagen kündigten die Taliban eine neue Offensive an. Der Anschlag auf den deutschen Militärflughafen ist dabei nur ein kleiner Zwischenfall. Eine Rakete schlug neben dem Rollfeld ein, verletzt wurde niemand. Vor zwei Wochen hingegen starben in Masar-i-Scharif 14 Menschen bei einem Angriff der Taliban auf ein Gericht. Mehrere Bewaffnete mit Sprengstoffgürteln und in Militäruniformen stürmten am 9. April das Berufungsgericht in der Provinzhauptstadt und lieferten sich danach mehrstündige Gefechte mit den lokalen Sicherheitskräften. So etwas hatte es in der Zeit, als die Deutschen das militärische Kommando in Nordafghanistan hatten, nicht gegeben. Im Gegenteil: Masar-i-Scharf war eine der wenigen Städte Afghanistans, die als sicher galten. Auch Ausländer konnten sich hier relativ frei bewegen. Gepanzerte Fahrzeuge, wie sie in Kabul selbst von Entwicklungshelfern benutzt werden, sieht man hier nur selten.

Die Bundeswehr gibt sich noch gelassen

Anders im weiter östlich gelegenen Kundus. Die Provinz gehörte ebenfalls zum Kommandogebiet der Deutschen. Schon vor eineinhalb Jahren wurde die Sicherheitsverantwortung der Region aber an die Afghanen selbst übergeben und das deutsche Feldlager dort geschlossen. Seither gibt es immer wieder Berichte über Geländegewinne der Taliban. Vor wenigen Tagen warnte der Vizegouverneur der Provinz, Hamdullah Daneschi, sogar, die Taliban könnten Kundus unter ihre Kontrolle bringen. Weite Teile von vier der insgesamt sechs Distrikte der Provinz seien in Hand der Aufständischen. Diese hätten auch bereits Checkpoints vor den Toren der Provinzhauptstadt eingenommen. Seit einer Woche wird außerdem ein deutscher Entwicklungshelfer vermisst, der in der Provinz unterwegs war. „Er wird von uns festgehalten“, sagte der Sprecher eines lokalen Taliban-Kommandeurs der Deutschen Presse-Agentur in Kundus.

Die Bundesregierung und auch die Bundeswehr geben sich derweil noch gelassen. „Es ist richtig, dass die Sicherheitslage in der Provinz Kundus eine Herausforderung ist. Das ist sie aber schon ganz lange“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes kürzlich in Berlin. Und bei der Bundeswehr heißt es, die afghanischen Sicherheitskräfte seien in der Lage, die Vorstöße der Aufständischen zurückzuschlagen, „wenn auch unter einem hohen Blutzoll“, wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos dem Tagesspiegel sagte. Er räumte aber ein, dass sich die Bundeswehr bei ihrer Einschätzung auf Informationen der afghanischen Behörden stützen müsse. „Wir haben kein eigenes Lagebild“, sagte er.

Die Taliban distanzierten sich von einem Anschlag des IS

Entsprechend schwer ist es auch, Berichte über die Ausbreitung des „Islamischen Staates“ (IS) in Afghanistan zu prüfen. Aus Kundus gibt es vage Angaben über Kämpfer „in schwarzen Uniformen“ und mit „schwarzen Fahnen“. Auch Fotos mit IS-Fahnen kursieren. Vor einer Woche bekannte sich der IS zudem zu einem Anschlag auf eine Bank in Dschalabad, im Nordosten Afghanistans, nahe der Grenze zu Pakistan. Mehr als 30 Menschen starben bei dem Bombenattentat.

Die Taliban distanzierten sich von der Tat. Bisher waren nur sie in der Lage, derart professionell organisierte Angriffe auszuführen. Doch die Taliban sind längst keine geschlossene Gruppe mehr – weder in Afghanistan noch in Pakistan. Und Teile der pakistanischen Taliban haben sich formal dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. Ein Bestreben des IS, auch in Pakistan und Afghanistan ein Kalifat zu errichten, sehen Sicherheitsexperten aber nicht. Die US-Wissenschaftlerin Christine Fair, die seit Jahren die Lage in der Region beobachtet, sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin skeptisch, was den Einfluss des IS in Afghanistan angeht.“ Aufständische Gruppen nutzten möglicherweise das „Label“ IS, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aus ihrer Sicht gefährden aber nicht nur Aufständische die Sicherheit Afghanistans. Auch die massive Korruption sieht sie als großes Risiko für die Zukunft des Landes. Afghanistans neuer Präsident Ashraf Ghani habe zwar versprochen, gegen Korruption vorzugehen, „aber er ist ebenso wie sein Vorgänger, Hamid Karsai, von den mafiösen Clanstrukturen im Land abhängig und wird daher nichts ändern“. Gute Aussichten sind das nicht.

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