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Afghanistan: Tief im Land

Der von der Bundeswehr in Auftrag gegebene Luftangriff auf zwei Tanklastzüge Anfang September in Kundus beschäftigt auch die afghanische Öffentlichkeit. Wie ist die Stimmung in dem Land?

In Kundus ist der Sprecher der Bundeswehr zwar auskunftsbereit, aber er hat wenig mitzuteilen. „Wir sprechen dazu nicht. Die Vorgänge werden in Berlin beurteilt“, heißt es aus dem mit meterhohen Beton- und Stacheldrahtzäunen gesicherten Militärlager der Bundeswehr. Grundsätzlich wolle die Bundeswehr aber, so weit es geht, transparent gegenüber den afghanischen Medien auftreten.

Eine „restlose Aufklärung“ des Angriffs auf die beiden Tanklaster hat es bisher nach Ansicht afghanischer Medien in Kundus nicht gegeben. Weder der Bericht der afghanischen Regierungskommission noch jener der Nato basiere auf ausreichender Recherche bei den Betroffenen vor Ort, lautet eine Kritik. Vielmehr seien Informationen in kurzer Zeit in Kundus-Stadt zusammengestellt worden, ohne die Menschen im Rahmat Bay und den anliegenden Dörfern im Bezirk Chardara ausreichend zu befragen.

Zweifel gibt es auch an der Zahl der zivilen Opfer beim Luftangriff auf die beiden Tanklaster Anfang September. Ein Untersuchungsbericht der afghanischen Regierung spricht von 30 zivilen Opfern. Er glaube, dass die wirkliche Zahl höher liege, sagt ein afghanischer Journalist, der auch für deutsche Medien aus Kundus berichtet.

Offiziellen Verlautbarungen zufolge stehen die afghanischen Behörden in Kundus voll hinter dem Angriff. Sie erzählen sogar, zwei oder drei mehr solcher Luftschläge hätten einen positiven Effekt auf die Sicherheitslage. Allerdings: Bei ausgeschaltetem Mikrofon machen dieselben Vertreter auch ganz andere Aussagen. Laut aussprechen mag das keiner von ihnen. Das hängt mit den militärischen wie politischen Kräfteverhältnissen zusammen. Das ausländische Militär übernimmt in vielen Dingen die Führung – so wie auch in der Diplomatie die Geberländer gegenüber Präsident Karsai. Zu spüren ist das etwa im Polizeihauptquartier von Kundus. Offiziell ist das in afghanischer Verantwortung, tatsächlich aber hat das US-amerikanische Militär das Sagen. Zwar patrouillieren zahlreiche Pickups der afghanischen Polizei durch die Straßen von Kundus. Wirklich martialisch wirken dem gegenüber die Patrouillen aus gepanzerten Isaf-Fahrzeugen, die dicht an dicht durch Kundus und die Vororte fahren. Sie lösen deutlich mehr Anspannung bei den Menschen am Wegrand aus. Das Zurückerobern der Herzen und Köpfe, so das vom Nato-Militär ausgegebene Ziel, ist auf diese Weise in Kundus wie in weiten Teilen von Afghanistan schwer zu realisieren. Kontakt zur einheimischen Bevölkerung können die gepanzerten Patrouillen kaum herstellen. Selbst Augenkontakt mit den Menschen ist wegen der Geschwindigkeit, mit denen die Fahrzeuge unterwegs sind, den Schutzhelmen und den tiefschwarzen Brillen der Soldaten oft nicht möglich. Daneben gibt es Versuche, für mehr Vertrauen zu werben. Wie neulich in der Mediothek, einer deutsch-afghanischen Vorzeige-Einrichtung am Stadtrand von Kundus. Ohne auffällig gepanzerte Fahrzeugkolonne fährt dort eine kleine Gruppe militärischer wie diplomatischer Vertreter aus dem deutschen Militärcamp vor. Im Garten der Mediothek gibt es Reis, Hammelfleisch und Pepsi-Cola. Eine vergleichsweise beschwingte Stimmung. Der neue deutsche Pressesprecher sucht Kontakt zu den afghanischen Journalisten. Das persönliche Gespräch vermag am ehesten Vertrauen zu schaffen. Eine Entwicklungshelferin ist auch da. Ohne Kopftuch und in Jeans erläutert sie den afghanischen Reportern Pläne zur künftigen Wasserversorgung in Kundus und Umgebung. Wortgetreu notieren sie ihre Worte in ihre Notizblöcke. Als die Mikrofone ausgeschaltet sind, verlassen die deutschen Gäste das Haus in der Hoffnung, etwas bewirkt zu haben. Am gleichen Tag sind Nato-Kampfflugzeuge am Himmel zu hören. Das gibt es unverändert. Neulich forderte die Bundeswehr erneut (amerikanische) Luftunterstützung an, nachdem deutsche Soldaten bei Chardara stundenlang in Gefechte verwickelt waren. Dabei seien zwei Sprengsätze abgeworfen worden. Zivilisten, so der Sprecher, seien dabei nicht zu Schaden gekommen.

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