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© AFP

Afghanistan: Wie sieht Hamid Karsais Zukunft aus?

Hamid Karsai wurde gewählt, um sein Land in die Moderne zu führen. Er war der Liebling des Westens, doch die Afghanen haben sich von ihm abgewandt.

WIE MÄCHTIG IST KARSAI IM EIGENEN LAND?

Als sich im Spätherbst 2001 afghanische Gesandte auf dem Bonner Petersberg trafen, um die Zukunft ihres Landes zu beraten, war Hamid Karsai nur per Telefonzuschaltung anwesend. Er selbst hielt sich in der Nähe von Kandahar auf, unterrichtet über die Ereignisse in Bonn durch Anrufe seines Bruders Qayyum auf dem Satellitentelefon. Karsai war nach dem 7. Oktober, dem Beginn der US-Angriffe auf die Taliban und Al-Qaida-Ausbildungslager, vom pakistanischen Quetta aus ins Gefecht gezogen. Ein von den Amerikanern vorbereiteter Einmarsch, der Karsai das Image eines afghanischen Kämpfers geben sollte, sagt Conrad Schetter von der Universität Bonn. Denn Karsai war bis dahin eher wegen seines Vaters bekannt gewesen, der einflussreiche Politiker und Clanchef Abdul Ahad Karsai, den die Taliban 1999 ermordet haben sollen. Andererseits hatte Washington bereits vor der Konferenz auf dem Petersberg entschieden, dass Hamid Karsai Interimspremier für Afghanistan werden würde. Man kannte sich seit den 80er Jahren, als Karsai im Kampf gegen die Sowjets mit die Verbindung zu den Amerikanern gehalten hatte.

Mit Karsai kam ein Paschtune an die Macht, der 1992 sogar einige Monate den Posten eines Vizeministers innehatte, der aber dennoch ein erstaunlich unbeschriebenes Blatt war. In einem von fast drei Jahrzehnten Bürgerkrieg zerrütteten Land nicht unbedingt ein Nachteil. Doch auch heute hat Karsai, der 2004 offiziell zum Präsidenten gewählt wurde, keine echte Machtbasis, auf die er sich verlassen kann.

Ein Problem hat ihm der Westen selbst gemacht: Die Kommandeure der Nordallianz, die an der Seite der Amerikaner gegen die Taliban gekämpft hatten, haben unter den Afghanen wegen ihrer Gräueltaten in den 90er Jahren einen denkbar schlechten Ruf. Doch statt die Warlords nach den Kämpfen dankend zu verabschieden, versorgte die internationale Gemeinschaft sie mit Posten in der Übergangsregierung, bis heute sind deren Milizen nicht entwaffnet worden. Karsai wiederum hat ebenfalls nie wirklich hart gegen diese Männer durchgegriffen, was ihm sicher viel Anerkennung bei der Bevölkerung eingebracht hätte.

Den Mudschaheddin und selbsternannten Emir von Westafghanistan, Ismail Khan, hat Karsai zum Beispiel als Gouverneur von Herat abgesetzt – und ihn dann nach Kabul ins Kabinett geholt. Das Muster wiederholt sich: Karsai nutzt seine Macht, Gouverneurs- und Polizeichefposten zu geben und zu nehmen, doch bindet er die entsprechenden Leute immer wieder ein. Der Vorsitzende des Erziehungskomitees im Senat ist sogar ein früherer Vizeminister der Taliban.

Vielleicht kann Karsai aus seiner Sicht nicht anders: Die afghanische Armee hat erst vor kurzem ihren ersten eigenen Einsatz hinter sich gebracht, auf Anfragen bei der Nato nach militärischer Unterstützung gegen Leute wie Ismail Khan habe er keine positive Antwort erhalten, sagt der Präsident. Nur bestätigt das auch das Vorurteil vieler seiner Landsleute, ihr Staatschef sei ein Büttel des Westens, der nicht einmal verhindern kann, dass die internationalen Truppen dauernd Zivilisten im Kampf gegen Taliban und Al Qaida töten.

Zudem betreibt Karsai eher die Klientelpolitik eines patriarchalischen Clanchefs als die eines demokratischen Politikers. Es ist ein offenes Geheimnis, dass einer seiner Brüder in den Drogenhandel verstrickt ist. Und viele geben seiner Personalpolitik Mitschuld daran, dass die Misere im Süden des Landes jetzt so groß ist. Dort, in den Provinzen Helmand und Urusgan, wo sein eigener Stamm stark ist, hatte er Gouverneure eingesetzt, die nicht nur ins Drogengeschäft verstrickt waren, sondern zu Zeiten der Taliban mit diesen kooperiert hatten.

WIE GEHT ER MIT DEN TALIBAN UM?

Seit zwei Jahren sind die Taliban in Afghanistan wieder auf dem Vormarsch. Vor gut einer Woche nun trafen sich in Kabul Stammesälteste aus Afghanistan und Pakistan zu einer Friedensdschirga, um gemeinsam mit Karsai und dessen pakistanischem Amtskollegen Pervez Musharraf über den Umgang mit den Gotteskriegern zu beraten. Zu Beginn sagte Karsai, er selbst sei einer der ersten Unterstützer der Taliban gewesen. Doch als ihm klar geworden sei, dass hier ausländische Mächte – Pakistan und Al Qaida – treibende Kräfte waren, und der Horror des Talibanregimes sich entfaltete, habe er Abstand von ihnen genommen.

Der frühere Kontakt muss so eng gewesen sein, dass ihm die Islamisten Mitte der 90er vorgeschlagen haben sollen, ihn zum UN-Botschafter zu machen. Wie genau er aber deshalb über die verbliebenen Taliban Bescheid weiß, ist Spekulation. Einerseits hat er im pakistanischen Quetta gelebt, wo jetzt ein Teil der Führungsriege um den Anführer Mullah Omar vermutet wird. Andererseits gehört Karsai als Clanchef der Popalsai zu Afghanistans Stammesaristokratie. Und die hatte gegenüber den einfachen Taliban schon immer ziemliche Standesdünkel. Dass aber gemäßigte Taliban eine Rückkehrmöglichkeit in die afghanische Gesellschaft brauchen, betont Karsai seit 2002 – auch sie „sind Söhne dieser Erde“, sagt er. Eine Vorstellung, die sich im Westen erst langsam durchsetzt. Nur hat Karsai noch kein Konzept präsentiert, wie das vor sich gehen soll. Seine bisherige Taktik, tendenzielle Gegner durch Regierungsämter ein- und an sich zu binden, wäre jedenfalls nicht der Weg, den sich der Westen und viele Afghanen wünschen.

WELCHES VERHÄLTNIS HAT ER ZU SEINEN NACHBARN, ALLEN VORAN PAKISTAN UND IRAN?

Die Beziehung zwischen Afghanistan und Pakistan ist kompliziert, die beiden Präsidenten sollen sich in offener Abneigung verbunden sein. Karsai hat Musharraf wiederholt vorgeworfen, am Terror in Afghanistan und dem Wiedererstarken der Taliban schuld zu sein. Dass Musharraf nun am letzten Tag der Friedensdschirga persönlich nach Kabul kam, mag ein positives Signal sein. Doch Karsai pflegt sein gutes Verhältnis zu Indien, wo er studiert hat, und das gefällt Pakistans Militär gar nicht. Islamabad will nicht von Kabul und Delhi in die Zange genommen werden und tut deshalb offenbar weniger gegen die Islamisten als möglich. Andererseits wäre es hilfreich, würde Karsai die Grenze zu Pakistan, die sogenannte Durand-Linie, anerkennen. Doch dazu sieht sich der Präsident nicht in der Lage – die Grenze führt mitten durch das Gebiet paschtunischer Stämme, die ihm diesen Schritt nicht verzeihen würden.

Diplomaten in Kabul mutmaßen, nicht nur Pakistan, sondern ein weiteres Nachbarland, Iran, habe Interesse daran, dass Afghanistan nicht ganz zur Ruhe kommt. Solange die Amerikaner im Irak sowie mit den Taliban beschäftigt sind, machen sie keine neue Front gegen Teheran auf, so die Theorie. Die US-Regierung wirft dem Iran bereits offen vor, die Taliban zu unterstützen. Karsai dagegen lobte den Nachbarn erst kürzlich für die Rolle im Kampf gegen den Terror – einen Tag bevor er zum Besuch bei Präsident George W. Bush eintraf. Diese Woche hat er Präsident Mahmud Ahmadineschad in Kabul empfangen. Das widerlegt zwar nicht die US-Vorwürfe gegen Teheran, doch Karsai distanzierte sich deutlich vom großen Sponsor in Washington.

WIE SIEHT KARSAIS ZUKUNFT AUS?

Als Hamid Karsai vor knapp sechs Jahren auf die internationale Bühne gehoben wurde, empfing ihn der Westen wie einen Märchenprinzen. Nicht nur Politiker und Journalisten waren verzaubert: Modeschöpfer wie Tom Ford oder Wolfgang Joop veranlasste Karsais Phantasietracht, für die er Kleidungsstücke der verschiedenen afghanischen Ethnien kombiniert, zu Elogen auf die Rückkehr des Charisma in die Politik. Wer Karsai persönlich kennt, bestätigt, wie sympathisch und freundlich dieser Mensch ist, der noch dazu gut aussieht und in fließendem Englisch auch in amerikanischen Talkshows besteht. Und obwohl sich mit fortschreitender Dauer und Brutalität des Afghanistan-Einsatzes diese Begeisterung gelegt hat, wird bisher kein Name diskutiert, der eine Alternative für die kommende Präsidentenwahl im Jahr 2009 sein könnte.

In Afghanistan aber hat Karsai in den vergangenen zwei Jahren viel Zustimmung verloren. Eine echte Konkurrenz könnte die erst vor wenigen Monaten geschlossene Allianz „Nationale Front“ werden, bei der Dschihadisten mit früheren Erzfeinden, den Kommunisten, gemeinsame Sache machen. Chef der Front ist Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani, mit im Boot sind Vertreter der ehemaligen Nordallianz wie General Abdul Raschid Dostum oder Junus Kanuni. Ob Karsai angesichts der Schwierigkeiten, die vor ihm liegen, überhaupt eine weitere Amtszeit anstreben möchte, hat er selbst schon in Zweifel gezogen. Als sich dann aber – mit dem gebotenen Respekt – potenzielle Nachfolger aus der Deckung wagten, soll er etwas beleidigt gewesen sein.

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