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Es geht nicht mit ihnen, es geht nicht ohne sie: Um das Land zu stabilisieren sind Verhandlungen mit den Taliban unvermeidlich.

© AFP

Afghanistankonferenz: 100 Delegationen entwerfen Pläne für die Zukunft

Wer in Afghanistan für Frieden sorgen will, muss auch mit den Taliban verhandeln, sagen Beobachter. Die Afghanistan-Konferenz in Bonn findet jedoch ohne sie statt.

Die Taliban, immer wieder die Taliban. Wenn über den Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan gesprochen wird, geht es um sie, wenn über die Entwicklung des Landes nach dem dafür anvisierten Termin Ende 2014 spekuliert wird, ebenfalls. Gelingt es, die radikalen Fundamentalisten, die das Land bis 2001 beherrschten, zurückzudrängen oder einzubinden, wollen sie Krieg oder Frieden? Die Taliban sind letztlich der Gradmesser für Erreichtes und Mögliches in Afghanistan. „Wir können nicht mit ihnen leben, aber auch nicht ohne sie“, sagt die afghanische Parlamentsabgeordnete Shinkai Karokhail. Wer realistisch sei, der müsse erkennen, dass kein Weg daran vorbeiführe, mit den Taliban zu sprechen.

In Bonn allerdings werden die Taliban nicht vertreten sein. So wie schon bei der ersten großen Afghanistan-Konferenz in Deutschland, 2001 auf dem Bonner Petersberg. Damals schienen die Taliban und ihre Verbündeten, Osama bin Ladens Al Qaida, geschlagen. Doch sie kamen zurück und sind heute so stark, dass ein dauerhafter Frieden gegen sie nicht möglich scheint. In einigen afghanischen Provinzen haben die Taliban quasi Schattenregierungen errichtet – vor allem dort, wo die offiziellen Strukturen schwach und korrupt sind. Denn wo Bürger 10 000 Dollar zahlen müssen, wenn sie eine Klage einreichen wollen, sind die parallelen islamischen Gerichte sehr willkommen. „In diesen Gebieten lässt sich auch beobachten, dass die Taliban neue Wege gehen“, berichtet Thomas Ruttig, Mitbegründer des Afghan-Analyst-Networks. Mädchenbildung etwa werde nicht mehr verteufelt. Die Abgeordnete Karokhail ist ohnehin überzeugt, dass sich Frauen nicht mehr aus dem Berufsleben zurückdrängen lassen. „Dazu sind wir einfach zu viele.“

Gleichberechtigung, Demokratie, darum ist es auch unter der Regierung von Hamid Karsai nicht gut bestellt. Ein junger afghanischer Journalist berichtete kürzlich in Berlin, wie Karsai und andere Regierungsmitglieder Journalisten mit Geld und Drohungen gefügig machen. „Manche unterhalten sogar eigene Fernsehsender.“ Kritische Zeitungen würden verboten, bestimmte Personen seien tabu. „Über sie zu berichten, ist schlicht lebensgefährlich. Das traut sich niemand.“ Gemeint sind vor allem ehemalige Warlords.

Mafiöse Strukturen haben sich herausgebildet - mit westlicher Unterstützung.

In Wahrheit werde das Land von einer Art Mafia ehemaliger Warlords dominiert, sagen Afghanen, die gut unterrichtet sind. Tatsächlich wurden die früheren Kommandeure aus der Zeit des Bürgerkriegs nie zur Rechenschaft gezogen. Viele erhielten sogar lukrative Staatsaufträge oder Ämter, damit sie die neue Regierung akzeptieren. So wie Mohammed Fahim Khan, ein berüchtigter Kriegsverbrecher, der von Karsai zum Vizepräsidenten ernannt wurde. Am Drogenanbau, der trotz jahrelanger Eindämmungsbemühungen derzeit wieder zunimmt, sind mutmaßlich ebenfalls viele dieser Paten beteiligt. Die meisten haben längst wieder Männer unter Waffen – und die internationale Gemeinschaft hat dies indirekt gefördert.

Auf Initiative der USA wurden Bürgerwehren aufgestellt, die zwar als lokale Polizei firmieren, letztlich jedoch nichts anderes als Milizen darstellen. „Unsere Recherchen haben ergeben, dass sie oft separate, informelle Kanäle zu mächtigen Regierungsmitgliedern oder lokalen Autoritäten unterhalten“, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Die Milizen seien an Überfällen, Vergewaltigungen und illegalen Razzien beteiligt. Auch im Operationsgebiet der Bundeswehr gibt es solche „lokalen Polizisten“, und sie sind zum Teil mit deutschen Waffen ausgerüstet. Landesweit sollen den Milizen mehr als 25 000 Männer angehören.

Nicht nur die Taliban gefährden also den Frieden in Afghanistan. „In den Provinzen haben wir längst wieder einen neuen Bürgerkrieg“, sagt Ruttig, der in der Vergangenheit in verschiedenen Positionen für die Europäische Union, die Vereinten Nationen (UN) und auch für die Bundesrepublik in Afghanistan tätig war. Westliche Militärs sind angesichts dieser Entwicklungen deutlich zurückhaltender als Politiker, was Umfang und Zeitplan für den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan angeht. US-General John Allen, der derzeitige Oberkommandierende der Nato-geführten Schutztruppe (Isaf), spekulierte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa kürzlich bereits über eine langfristige strategische Partnerschaft der Nato mit Afghanistan. „Ob das heißt, dass es auch nach 2014 eine Truppe in Afghanistan gibt, (…) – also eine Art Nachfolge der Isaf –, das wird man sehen müssen.“ Von der Bundesregierung heißt es indes, alle ausländischen Kampftruppen würden Afghanistan bis Ende 2014 verlassen. Viele Afghanen fürchten, dass mit ihnen auch die Aufmerksamkeit abgezogen wird und es ihrem Land ähnlich ergehen könnte wie Somalia, das heute mangels Daten heute nicht einmal mehr in den Entwicklungsstatistiken der UN berücksichtigt wird.

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