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Politik: Aids-Impfstoff für Afrika: Gegen Unterentwicklung helfen keine Pillen (Kommentar)

Wer Medikamente gegen Aids entwickelt, kann heute keineswegs mit Dankbarkeit rechnen. Die WHO, "Ärzte ohne Grenzen" und andere humanitäre Organisationen prangern Pharmafirmen wie Pfizer (Viagra) als erbarmungslose Preistreiber an, die lieber ein paar reichen Weißen zur Erektion verhelfen, als Millionen Afrikanern das Leben zu retten.

Wer Medikamente gegen Aids entwickelt, kann heute keineswegs mit Dankbarkeit rechnen. Die WHO, "Ärzte ohne Grenzen" und andere humanitäre Organisationen prangern Pharmafirmen wie Pfizer (Viagra) als erbarmungslose Preistreiber an, die lieber ein paar reichen Weißen zur Erektion verhelfen, als Millionen Afrikanern das Leben zu retten. Die radikale Selbsthilfe-Organisation "Act Up" hat eine besonders boshafte Variante entwickelt: das so genannte "Die-In". Schwerkranke Aids-Patienten werden in den Pharma-Konzernen zum Sterben aufgebahrt. Bei der Welt-Aids-Konferenz forderten die Teilnehmer in dieser Woche in Durban vor der Kulisse siechender Südafrikaner, hilfloser Ärzte und verwaister Straßenkinder billige Arznei für die Entwicklungsländer.

Die Pharmafirmen stehen vor einem Dilemma: Die Entwicklungskosten von etwa 400 Millionen Dollar für ein neues Aids-Medikament werden bisher durch saftige Preise wieder hereingeholt. Die Behandlung kostet etwa 10 000 Dollar pro Patient und Jahr. Das Gesundheitsbudget vieler Länder im südlichen Afrika, wo zwei Drittel der weltweit Betroffenen leben, liegt bei 10 Dollar pro Einwohner und Jahr. Die Abgabe der teuer entwickelten High-Tech-Medikamente zu Billigstpreisen hätte zur Folge, dass Gewinnerwartung und Aktienwert sinken - womit weniger Geld für die Entwicklung zukünftiger Medikamente zur Verfügung stünde.

Unter wachsendem internationalen Druck haben die meisten Hersteller nun zugesagt, Aids-Medikamente stark verbilligt oder umsonst nach Afrika zu liefern. Die USA, bisher ihr wichtigster Verbündeter, hatten kurz zuvor die Seite gewechselt. Bis vor wenigen Monaten drohten die USA mit drastischen Sanktionen gegen Staaten, in denen - bis zu 50 Mal billigere - Nachahmer-Präparate hergestellt werden dürfen. Als Südafrika 1997 ein Gesetz zur "Zwangslizenzierung" der Aids-Patente an einheimische Hersteller ankündigte, drohten die USA mit der Einstellung aller Wirtschaftshilfen. Die in Südafrika tätigen internationalen Pharmakonzerne schlossen Fabriken, strichen Investitionen und starteten eine Werbekampagne gegen afrikanische Billigmedikamente.

Dabei ist die Zwangslizenzierung im Welthandelsabkommen von 1994 ausdrücklich vorgesehen, etwa wenn die Gesundheit der Bevölkerung bedroht ist. Und im Verfahren gegen Microsoft hatte die US-Regierung ihrerseits gedroht, der Konkurrenz die Quellcodes der Software per Zwangslizenzierung zur Verfügung zu stellen.

Für den Aids-Kongress, der keinen wissenschaftlichen Durchbruch aufweisen kann, mag das Einlenken der Pharmafirmen ein Trost sein. Aber die Hightech-Pillen werden die Epidemie in Afrika nicht aufhalten. Klima und hygienische Verhältnisse bewirken, dass Begleiterkrankungen wie Tuberkulose, Durchfall und Pilzinfektionen schnell tödlich enden. Die erforderliche Kombination von Medikamenten ist auch in Industrieländern Spezialistensache. Im afrikanischen Alltag, wo selbst einfache Antibiotika-Therapien am fehlenden Untersuchungslabor scheitern, werden die Aids-Medikamente bestenfalls wahllos wie Hustenbonbons verteilt. Im schlechtesten Fall kommen sie nie beim Patienten an, weil korrupte Beamte sie zu Dumping-Preisen ins Ausland verkaufen.

Aids kann nicht durch Medikamente, sondern nur durch Prävention und allgemeine Verbesserung der Gesundheitssysteme eingedämmt werden. Das ließe sich durch einen Teilerlass der jährlich 15 Milliarden Dollar Schuldentilgung Afrikas finanzieren. Bis dahin dienen die Pillen für Afrika in erster Linie der Gewissensberuhigung der Absender.

Der Autor ist Technologieberater und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.

Alexander S. Kekulé

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