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Politik: Aktion Sorglos

Strucks Mängelbericht listet gravierende Defizite beim Kosovo-Einsatz auf

Von Robert Birnbaum

Berlin - Der Verteidigungsminister wählte die Vorwärtsverteidigung. „Ich denke schon, dass man sich über einige Dinge wundern musste“, sagte Peter Struck, noch bevor am Mittwoch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses Gelegenheit zum Wundern hatten. Die bekamen sie dann reichlich bei Strucks Mängelberichten über das Verhalten der Bundeswehr vor und in den Märzkrawallen im Kosovo.

„Sprachfähigkeit Englisch“ vermerkt die Aufstellung zum Beispiel lapidar unter „Defizit“ und verspricht als Abhilfe „Durchführung im Rahmen der Führerausbildung“. An anderer Stelle wird deutlicher, was da gemeint ist: Nicht einfache Soldaten, sondern Stabsoffiziere bis hinauf zu Kommandeuren sind in der Nato-Sprache Englisch nicht sattelfest. Auch sonst erweckt die Mängelliste den Eindruck, dass insbesondere die Führungs- und Planungsebenen sich nie ernsthaft gefragt hatten, welche Probleme auf die Kfor-Truppe lauern könnten. Es fehlte nicht nur an Ausrüstung, um mit Krawallen und ausufernden Demonstrationen fertig zu werden – erst nach den brutalen Ausschreitungen gegen die Serbenminderheit wurden beim Bundesgrenzschutz eilends 400 Schutzschilde und Schlagstöcke entliehen –, es fehlte vor allem am Bewusstsein drohender Gefahr. Hinter technisch klingenden „Defizit“-Kategorien wie „Mentale Einstellung“, „Unsicherheiten in der Anwendung von Schusswaffen zur Durchsetzung des Auftrags“, „Fehlende Krisenpläne“ oder „Ungünstiges ,Tooth to Tail’-Verhältnis“ – zu Deutsch: zu viel Häuptlinge, zu wenige Indianer – wird das Bild einer sorglos geführten und eingestellten Truppe deutlich. Wobei es Versäumnisse auf allen Seiten gab: Erst nach den Krawallen kamen Militärs und UN-Polizei auf die Idee, ein gemeinsames Lagezentrum einzurichten. Dass die Nachricht von einem getöteten Serben im deutschen Sektor im Zuständigkeits- und Meldechaos fast verschwunden wäre, passt nur zu gut in das Gesamtbild.

Im Detail sind diese Dinge im Ausschuss nicht erörtert worden. Denn Struck hatte dicke Aktenordner mit einem zweiten, detaillierteren Bericht mitgebracht. Die Opposition beantragte Vertagung, um in Ruhe lesen zu können. Offen bleibt die Frage, ob die Union einen Untersuchungsausschuss fordern wird. Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Christian Schmidt (CSU), will das davon abhängig machen, ob Struck schlüssig darlegt, dass alle Konsequenzen gezogen sind. Doch die Neigung unter den Verteidigungsexperten von Union und FDP ist gering, den Ausschuss zum Untersuchungsgremium zu machen. Der Ertrag, heißt es, wäre gering – der Flurschaden aber groß, „wenn wir einfache Feldwebel vor Gericht zerren“.

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