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Eine von wenigen. Ola El-Sherbini geht auf die Straße für ihre Rechte.

© Katharina Eglau

Aktionstag der Säkularen gescheitert: Proteste in Ägypten eskalieren

Der als Protesttag der Säkularen Kräfte geplante Tag ist zu einem Tag der Gewalt und der Ausschreitungen geworden. Dabei bekämpfen sich Gruppierungen, die einst Seite an Seite erfolgreich gegen Mubarak demonstrierten.

Steine fliegen, Menschen brechen verletzt zusammen, Rauchwolken wabern durch die Luft, Kampfgeheul schallt über den Tahrir-Platz. Die Rednertribüne für die Kundgebung ist längst zerstört, das weiße Transparent zwischen den Laternenpfählen heruntergerissen. Die roten Lettern „Spielt nicht herum mit den Frauenrechten in der Verfassung“ liegen zertrampelt im Dreck. Ein kleiner Zug Kommunisten flüchtet sich mit seinen Hammer-und-Sichel-Flaggen in eine Seitenstraße, wo er sich neu formiert und tapfer weitermarschiert. Unter der Nilbrücke steht lichterloh ein Bus in Flammen.

Eigentlich hatte dieser „Freitag der Rechenschaft“ das große politische Signal der säkularen Kräfte Ägyptens werden sollen. 21 Parteien und Gruppierungen wollten eine Million Anhänger auf dem Tahrir zusammentrommeln. „Wir fordern eine Verfassung im Konsens, die die ganze Bandbreite der ägyptischen Gesellschaft widerspiegelt“, hieß es in der gemeinsamen Petition der Demokratiebewegung „6. April“, der Verfassungspartei von Mohammed El Baradei sowie der „Volksbewegung“ des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hamdeen Sabbahi. Der Linkspolitiker war Ende Mai nur knapp im zweiten Wahlgang gescheitert und hatte im Großraum Kairo mit Abstand die meisten Stimmen bekommen.

Doch nur ein paar tausend Anhänger ließen sich am Ende auf dem berühmten revolutionären Kreisverkehr blicken – sofort empfangen und eingeschüchtert von lärmenden Muslimbrüdern und Salafisten. Um der Kundgebung der Säkularen etwas entgegenzusetzen, hatten tags zuvor auch die Islamisten ihre Bataillone in das Herz von Kairo dirigiert. Der Freispruch am Donnerstag für alle 24 Hintermänner der berüchtigten Kamel-Schlacht auf dem Tahrir während der Revolution kam ihnen da als Anlass gerade recht. Und die aus allen Teilen des Landes herbeigekarrten Parteijünger ließen an ihrer handfesten Entschlossenheit überhaupt keinen Zweifel. Sie skandierten „Mursi, Mursi“ und „Allah ist groß“.

„Wir stehen für die Zukunft, die stehen für die Vergangenheit“, rief Mazen Mostafa trotzig in den Tumult hinein. Verloren standen der 52-jährige Ingenieur und ein Dutzend Gleichgesinnter, alle einst Mitglieder der Bürgerbewegung „Kefaya“, am Nachmittag auf dem frisch gelegten Rasen des berühmten Platzes. „Wir haben gegen Mubarak gekämpft, und wir werden weiterkämpfen“, machte sich auch Ola El-Sherbini Mut, die beim ägyptischen Stromversorger arbeitet und schon seit Jahren in der Demokratiebewegung „6. April“ aktiv ist. Was die 32-Jährige und ihre beiden Freundinnen besonders empört, ist der geplante Artikel 36 der neuen Verfassung, der die Rechte und Pflichten der Frauen regelt, sofern diese nicht „den Vorschriften der Scharia“ widersprechen. „Wie die Männer darüber diskutieren und wie sie über unsere Rechte reden, das widert mich an“, sagt Ola El-Sherbini, die ein buntes Kopftuch trägt.

Salafisten und Muslimbrüder, die 60 der 100 Mandate in der Verfassungsgebenden Versammlung kontrollieren, machen keinen Hehl mehr aus ihren Absichten. Sie wollen die Vielehe zulassen, 18 Jahre als Mindestheiratsalter für Mädchen abschaffen sowie die systematische Benachteiligung von Frauen beim Erbrecht wieder einführen. Ein Dorn im Auge ist ihnen auch das seit 2005 geltende Sorgerecht für Kinder, was einer geschiedenen Mutter mehr Mitsprache gibt. Auch das KhulScheidungsrecht für Frauen soll möglichst rasch aus Ägyptens Gesetzbüchern verschwinden.

In dem erstmals vor drei Tagen veröffentlichten kompletten Entwurf ist die einschränkende Scharia-Klausel bei den Frauenrechten weiterhin enthalten. Wird der Text in zwei Monaten vom Volk per Referendum akzeptiert, sind diese Eckpunkte unverrückbar festgeschrieben. Im säkularen Ägypten dürfte nach diesem „Freitag der Rechenschaft“ Ernüchterung einkehren. „Die nehmen uns nicht mehr ernst“, sagt Ingenieurin Ola El-Sherbini. „Aber wir geben nicht auf.“

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