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Politik: Akuter Notfall

Eine Studie zeigt: Wenige sind auf die Pflege Angehöriger vorbereitet – und viele fühlen sich überfordert

Berlin - Mehr als die Hälfte der über 50-Jährigen ist mit der Pflegesituation von alten Menschen in Deutschland unzufrieden. Und die überwiegende Mehrheit derer, die Angehörige pflegen, fühlt sich von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des Umfrageinstituts TNS Emnid, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Für die Untersuchung im Auftrag der Marseille-Kliniken AG wurden bundesweit erstmals diejenigen befragt, denen das Thema auf den Nägeln brennt: Pflegebedürftige, deren Angehörige sowie Bundesbürger über 50. Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner zeigte sich allein schon von einem statistischen Ergebnis überrascht: Neben den offiziell registrierten 2,3 Millionen Pflegebedürftigen der Pflegestufen eins bis drei bestehe offenbar ein „mehr als doppelt so hohes Potenzial an weiteren Pflegefällen“. Jeder Fünfte, so ergab die Umfrage, hat im familiären Umfeld einen Pflegefall. Das sind 4,5 Millionen Haushalte. Und 71 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Eine „unglaubliche soziale Leistung“, wie Schöppner findet – was sich angesichts der demografischen Entwicklung in naher Zukunft aber wohl „massiv verringern“ werde. Und vieles geschieht schon jetzt aus der Not heraus: Gut ein Drittel der häuslich betreuten Pflegefälle wäre nach Angaben der Befragten im Heim, wenn das nicht zu teuer wäre.

Doch viele Privatwohnungen sind kaum auf Pflegebedürftigkeit ausgerichtet. Nur für ein Drittel der Pflegefälle reicht das Geld aus der Pflegeversicherung, um die Wohnung entsprechend umzubauen. Hinzu kommt der Aufwand. Zu Hause werden nicht nur die „leichteren“ Fälle gepflegt, ein Fünftel benötigt Pflege rund um die Uhr. Viele fühlen sich mit alledem allein gelassen. 65 Prozent der Befragten, die ein Familienmitglied pflegen, klagen über mangelnde Unterstützung.

Aber auch viele nicht Pflegende sind verunsichert: 54 Prozent der über 50-Jährigen gaben an, mit der Pflegesituation für alte Menschen in Deutschland unzufrieden zu sein. Und richtig interessant wird es beim Blick auf die Kriterien derer, die sich als zufrieden bezeichnen: Am wenigsten sind sie das nämlich ausgerechnet mit den Dingen, die ihnen am wichtigsten wären. So gaben 94 Prozent an, dass bei der Pflege der ganze Mensch im Mittelpunkt stehen müsse. Nur 42 Prozent aber sind in diesem Punkt zufrieden. Ähnlich weit auseinander liegen Anspruch und Wirklichkeit bei den ebenfalls ganz oben rangierenden Kriterien „gut ausgebildetes Pflegepersonal“ und „Qualität der Pflege“. Nur 53 Prozent sind mit der Betreuung, nur 52 Prozent mit der Personalausbildung und nur 46 Prozent mit der allgemeinen Pflegequalität zufrieden. Kritisch äußerten sich vor allem Jüngere und Großstadtbewohner. Am wenigsten wichtig ist den Befragten übrigens, ob das jeweilige Heim staatlich, gemeinnützig oder privat betrieben wird.

Angesichts der Umfrageergebnisse forderte der Vorstandschef des privaten Heimbetreibers Marseille-Kliniken, Axel Hölzer, mehr Qualitätsprüfungen für Pflegeheime sowie mehr „Kundentransparenz“. Gleichzeitig warnte er davor, die Leistungen für stationäre Pflege zugunsten der ambulanten Pflege zu senken, wie dies die Unionsländer planen. Der Bedarf sei gerade andersherum: Ein Drittel der zu Hause Versorgten komme nur nicht ins Heim, weil dafür das Geld nicht reiche. Und aufgrund der „tickenden Zeitbombe demografische Entwicklung“ stünden immer weniger Angehörige für die Pflege zu Hause zur Verfügung.

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