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Akw-Pannen: Drei Stunden Störfallexegese

Der Bundestagsausschuss beschäftigt sich mit den Akw-Pannen – Umweltminister Sigmar Gabriel will jetzt häufiger kontrollieren lassen.

Von Robert Birnbaum

Einer der Unterschiede zwischen einem Minister und einer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ist der, dass der Minister handeln kann, die Abgeordnete aber nur reden. Katherina Reiche, Fraktionsvize der CDU/CSU, hat ihren Part am Mittwoch schon vor der Sondersitzung des Umweltausschusses zu den jüngsten Atom-Pannen erledigt: „Übertrieben“ sei diese Sitzung in den Sommerferien, offensichtlich nur dem Zweck dienend, „den Feldzug gegen die Kernenergie fortzusetzen“, schimpfte Reiche.

Sigmar Gabriel, Bundesumweltminister und als Gast im Ausschuss geladen, hatte zu diesem Zeitpunkt seinen wichtigsten Beitrag zum Tage ebenfalls schon erledigt. Der SPD-Politiker lehnte den Antrag des Stromkonzerns Vattenfall endgültig ab, das Pannenkraftwerk Brunsbüttel länger als bis 2009 betreiben zu dürfen, indem ihm theoretische Strommengen des Akw Mülheim-Kärlich zugerechnet werden. „Rechtlich absolut unvertretbar“ sei das Ansinnen; schließlich stehe im Atomgesetz, welche Akw Strommengen des nie in Betrieb gegangenen Mülheim-Meilers erben dürften – und Brunsbüttel ist auf dieser Liste nicht zu finden. Weshalb der Betreiber etwas überhaupt beantragt habe, was nicht im Gesetz stehe, sei sein Geheimnis.

Vattenfalls Geheimnisse, genauer die Geheimnistuerei des Konzerns im Zusammenhang mit den Störfällen in Brunsbüttel und Krümmel, hat der Umweltausschuss in seiner gut dreistündigen Beratung besprochen. Das ging bis in die technischen Details etwa der Art, dass in beiden Akw Löcher für Dübel zu groß und im falschen Winkel in die Wand gebohrt waren. Deutlich wurde zugleich, wie Gabriel und Mitglieder des Ausschusses berichteten, dass neben immer noch unerklärlichen technischen Pannen menschliches Fehlverhalten zu den Störfällen beigetragen hat. „Auf jedem Segelboot gilt die Drei-Wege-Kommunikation“, hat der schleswig-holsteinische Staatssekretär Hellmut Körner zur Erläuterung gesagt: Befehl vom Käptn zum Rudergänger, Bestätigung des Rudergängers, Bestätigung der Bestätigung vom Käptn – dann erst wird am Ruder gedreht. In Krümmel aber hat offenbar der Reaktorfahrer seinen Schichtleiter falsch verstanden, was dem erst auffiel, als es zu spät und wichtige Ventile schon zu lange offen waren.

Dies ist nur ein Beispiel für etwas, was nicht nur Gabriel, sondern auch Grüne, FDP und Linkspartei hinterher als mangelnde „Sicherheitskultur“ bei Vattenfall bemängeln. Strittig ist zwischen den Parteien freilich weiter, wer da wem früher hätte auf die Finger klopfen müssen. Die Grüne Bärbel Höhn sieht den Bund mit in der Pflicht; Gabriel weist das Ansinnen zurück, sich stärker in die konkrete Atomaufsicht einzumischen, und nimmt zugleich die Kieler Kollegin Gitta Trauernicht (SPD) gegen jede Kritik in Schutz. „Wirklich ungerecht“ seien Vorwürfe, Trauernicht habe überreagiert und Vattenfall ohne Not die Staatsanwaltschaft auf den Hals gehetzt. Nein, die Atomaufsicht in Kiel habe stets korrekt agiert.

Gleichwohl kündigt Gabriel Konsequenzen an. So soll der Rhythmus der Sicherheitsüberprüfungen von mehreren Jahren auf ein bis zwei Jahre sinken und alle Akw-Betreiber ein zeitgemäßes Sicherheitsmanagement einführen. Dazu will er Vereinbarungen mit den Ländern; gelingt das nicht, will Gabriel verordnen. Ein „Feldzug“ gegen die Atomkraft? Aber nicht doch. Nur zeigten Krümmel und Brunsbüttel halt wieder einmal, dass die Komplexität einer Atomanlage „den Störfall zum Normalfall“ mache.

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