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Beinahe erwischt. Eine US-Drohne wurde am Donnerstag vergangener Woche auf das Auto von Anwar al Awlaki abgefeuert – doch der Terrorist konnte entkommen.

© AFP

Al Qaida: Kampf der Terroristen im Internet

Al Qaida auf der arabischen Halbinsel gibt sich besonders modern – die fanatischen Anhänger hetzt sie im Internet auf.

Von Frank Jansen

Sie hätten ihn beinahe im südlichen Jemen erwischt. Vergangene Woche feuerte eine US-Drohne Raketen auf ein Fahrzeug, in dem wahrscheinlich Anwar al Awlaki saß, eine der gefährlichsten Figuren des islamistischen Terrors, nicht nur weil er zu Anführern der Vereinigung „Al Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH)“ zählt. Doch der Wagen soll bei dem Beschuss nahe Abadan in der Provinz Shabwa nur leicht beschädigt worden sein. Awlaki wechselte das Auto und fuhr fort. So hat es ein Sprecher des Stammes berichtet, dem Awlaki angehört. Hätten ihn die Raketen getroffen, wäre den Amerikanern kurz nach der Tötung von Osama bin Laden ein weiterer, schwerer Schlag gegen Al Qaida gelungen. Denn Awlaki gilt in der Terrororganisation als Mann der Zukunft, weil er zwei Kämpfertypen verkörpert: den des Kriegers mit der Kalaschnikow und den des Online-Dschihadisten. Verfassungsschützer nennen Awlaki den „Bin Laden des Internets“.

Die Umtriebe von Awlaki und Al Qaida auf der arabischen Halbinsel lassen ahnen, was der Welt auch nach dem Tod Osama bin Ladens bevorstehen könnte. Lokale Guerillaaktionen werden kombiniert mit überregionalen Anschlägen, verübt von Einzeltätern, die über das Internet aufgehetzt wurden. Oder AQAH wendet andere Methoden an. Ein Beispiel, das die USA und Europa erschreckte, waren die im Oktober 2010 im Jemen aufgegebenen, hochexplosiven und in Richtung Chicago versandten Paketbomben. Eine wurde auf dem Flughafen Köln/Bonn zum Weiterflug nach Großbritannien umgeladen, die deutschen Behörden erfuhren es zu spät. Dass die Bomben dann doch abgefangen wurden, war einem Hinweis aus Saudi-Arabien zu verdanken. AQAH sprach dennoch von einem Erfolg: Der Anschlagsversuch habe nur 4200 Dollar gekostet, der Feind hingegen müsse nun tausendfach höhere Beträge zur Gefahrenabwehr aufwenden.

Der Jubeltext stand im Internetmagazin „Inspire“. Die opulente Online-Broschüre von AQAH erschien erstmals im Sommer 2010. Experten sprechen von einer Illustrierten des Terrors, so etwas habe noch keine andere Al-Qaida-Truppe zustande gebracht. Als Chefdenker von „Inspire“ und damit auch von AQAH gilt Anwar al Awlaki. Das Magazin soll Islamisten zu Anschlägen inspirieren. Dazu werden in den bislang fünf Ausgaben konkrete Ratschläge erteilt. So empfiehlt ein Autor, einen Pick-up mit seitlich angebrachten Stahlklingen zu rüsten und mit der „ultimativen Mähmaschine“ in Fußgängerzonen zu rasen, auch in Deutschland.

Im jüngsten Heft lobt AQAH den Attentäter vom Frankfurter Flughafen, Arid U. Der Kosovare hatte Anfang März zwei US-Soldaten erschossen und zwei weitere schwer verletzt. „Inspire“ nennt Arid U. „mutig“, dankt Allah für die Trauer von US-Präsident Barack Obama und betont, der Attentäter sei durch die Internetaktivitäten von Kämpfern animiert worden. Einen Zusammenhang zwischen der AQAH-Propaganda und der Frankfurter Tat sehen Sicherheitsexperten zwar nicht, doch sie befürchten, dass „Inspire“ junge Fanatiker zur Nachahmung treibt.

Möglicherweise ist AQAH das Terrormodell von morgen, jedenfalls wirkt sie moderner als die Kern-Al-Qaida im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet und die anderen Ableger im Irak, in Nordafrika und Somalia. Für die Innovation des Schreckens ist vor allem Awlaki verantwortlich. Awlaki wurde 1971 im US-Bundesstaat New Mexico geboren, ist also amerikanischer Staatsbürger – und Jemenit. Der Vater war Agrarwissenschaftler und später Minister im Jemen. Wäre Awlaki nicht zu Al Qaida abgedriftet, würde er zur Elite des Landes zählen – ein Verwandter ist Ministerpräsident Ali Mohammed Mudschawar.

Mit den Eltern ging Awlaki zurück in den Jemen, später studierte er in den USA. Er steigerte sich in eine Antipathie gegen das Land hinein, 1993 reiste er nach Afghanistan und radikalisierte sich weiter, kam aber in die USA zurück. Awlaki sieht sich als Imam, der die Lehre vom Heiligen Krieg verbreitet. Angeblich hatte er auch Kontakt zu zwei Tätern der Anschläge vom 11. September 2001. Seit 2004 lebt er im Jemen, diesem „failed state“, in dem Al Qaida sich einen halbwegs sicheren Rückzugsraum erkämpfen konnte.

Awlaki soll laut Verfassungsschutz auch mit drei Selbstmordattentätern in Verbindung gestanden haben, die im Juli 2005 schwere Anschläge in London verübten. Er radikalisierte über das Internet den US-Militärpsychiater Nidal Malik Hussein, der im November 2009 in der Militärbasis Fort Hood 13 Menschen erschoss. Offenbar fanatisierte Awlaki auch den Nigerianer Umar Faruk Abdulmutallab, der im Dezember 2009 auf dem Flug zwischen Amsterdam und Detroit einen Sprengsatz in seiner Unterwäsche zünden wollte und von Passagieren überwältigt wurde. Die USA werden wohl weiter versuchen, ihren Staatsbürger Anwar al Awlaki mit einem Drohnenangriff zu töten. Das würde vermutlich AQAH im Jemen selbst weniger treffen, das Chaos im Land nützt dem Terror. Aber die Gefahr, die Awlakis Hetze weit über den Jemen hinaus bedeutet, wäre mit seinem Tod eingedämmt. Bis einer den „Imam“ beerbt.

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