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Politik: Albaner im südserbischen Niemandsland fürchten ehemalige UCK-Kämpfer

Es ist still in Dobrosin, unglaublich still. Nur fünf junge Männer stehen am Fuße des Berges in der Nähe einer Moschee.

Es ist still in Dobrosin, unglaublich still. Nur fünf junge Männer stehen am Fuße des Berges in der Nähe einer Moschee. Zwei Greise schlendern vorbei. Dann das Krähen eines Hahnes. Kinder leben hier keine mehr, und auch sämtliche Frauen scheinen das albanische Dorf verlassen zu haben. Geblieben sind all die jungen Bauern - in ihren Augen die ständige Angst.

Dobrosin liegt direkt zwischen Serbien und dem Kosovo, und auch wenn es Albaner sind, die hier noch leben, das Dorf ist auf der serbischen Seite der Grenze. Rund 1200 Menschen sollen hier mal gewohnt haben, heute sind mehr als 80 Prozent von ihnen geflohen. Geflohen vor den Serben, wie die Gebliebenen erzählen. Doch es ist über einen Monat her, seit dem sich ein serbischer Polizist in dieses Dorf getraut hat - in Dobrosin gibt es ja nur noch Albaner.

Dilemma für Belgrad und die Nato

Ein letztes Kfor-Schild kennzeichnet das Ende des Einflussgebiets der Friedenstruppe, doch nur wenige Meter weiter stößt man auf einen weiteren Überwachungsposten, den das US-Kontingent eilig zur Verstärkung errichtet hat. Die Vorkehrungen haben ihren Grund. Der Nato ist klar, dass dieser Ort sie in einen neuen Krieg verwickeln könnte. Denn die Wahrheit ist: Keiner der Flüchtlinge aus Dobrosin fürchtet sich vor den Serben. Auch wenn sie es sich nicht auszusprechen trauen, die Menschen verlassen ihre Heimat, weil diese seit kurzem von einer Splittergruppe der ehemaligen Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) kontrolliert wird. Dobrosin wurde zum Hauptquartier der Guerillas, der sogenannten "Befreiungsarmee für Medvedje, Presevo und Bujanovac" - den drei Stadtbezirken in Südserbien, die an das Kosovo grenzen, und wo überwiegend Albaner leben.

Nicht nur für die Nato auch für die Serben ist das Dorf zu einem ernsthaften Dilemma geworden. Selbst die gegen die Regierung gerichtete Belgrader Boulevard-Zeitung "Blic" titelte: "Terroristen auf serbischem Boden". Direkt an der Grenze, zwischen den serbischen und den Kfor-Kontrollpunkten, liegt Dobrosin in einer zehn Kilometer breiten Sicherheitszone, eine Art Niemandsland. Auf der Tagesordnung der Guerillas steht - wie sie stolz erklären - die "Befreiung". Die Befreiung eines serbischen Dorfes, in dem zwar Albaner wohnen, allerdings unter völlig friedlichen Bedingungen. Keine Spur von Feindseligkeiten hatte es in den vergangenen Jahren gegeben, während der Nato-Luftangriffe hatte man hier zusammen durchgehalten, sich gegenseitig geholfen. Selbst der Bürgermeister, ein Serbe, hat das Dorf inzwischen verlassen. Nur noch selten kommt er zurück, um mit den Guerillas zu verhandeln. Einfluss hat er keinen mehr. Die Schuld an der Situation gibt er der Nato: Die Friedenstruppe habe einfach bei der Entwaffnung der Albaner versagt, sie nicht davon abgehalten, in das Gebiet einzudringen. Weit verbreitet ist jetzt die Sorge, serbisches Militär könnte in die Pufferzone vorstoßen, um dort die Guerillas zu jagen. Dann müsste die Kfor in dem serbischen Gebiet eingreifen, und das würde die vertraglichen Abmachungen zwischen der Nato und Serbien brechen.

Ein einziger Zwischenfall hatte ausgereicht, um die eigentlich guten Beziehungen zwischen den zwei Volksgruppen zu zerstören, um die Stimmung anzuheizen und Mißtrauen zu schaffen. Begonnen hatten die Probleme mit der Ermordung von zwei Bauern. Die Albaner behaupten, die beiden Männer wären aus nächster Nähe von der serbischen Polizei erschossen worden.

Gemeinsam gegen die Guerillas

Neun Kilometer südlich, in Bujanovac, liegt das nächste Krankenhaus und die für Dobrosin zuständigen Behörden. Die Straße dorthin, durch den serbischen Teil der Sicherheitszone, ist allerdings alles andere als sicher, nicht einmal für Albaner. Noch weniger willkommen sind Ausländer. Nach einem Treffen mit dem Bürgermeister von Bujanovac machte sich Marcel Gorgan, ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen, auf den Weg in Richtung Dobrosin und zwar in seinem deutlich als UN-Fahrzeug gekennzeichneten Wagen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Auf einer Bergstraße inmitten des Niemandlands kam er dann plötzlich unter Beschuss. Gegen die Gewalt der Guerillas ist die hauptsächlich albanische Bevölkerung in dem Grenzgebiet weitgehend machtlos, eigentlich bleiben ihr nur zwei Möglichkeiten. Sie können auf eine politische Lösung hoffen oder selber zu den Waffen greifen. So scherzt ein Albaner aus Bujanovac: Sollten die Kämpfer aus Dobrosin auch in sein Dorf eindringen, dann würde er sich mit den Serben zusammentun.Aus dem Englischen von Johannes Keienburg

Gillian Sandford

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