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Schweinehälften passieren ein Kontrollterminal in einem Schlachthof in Ostfriesland

© Ingo Wagner/dpa

Update

Aldi irritiert mit Forderung nach Wurstpreis-Senkung: „Kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen“ – Bundesregierung verbietet Werkverträge

Arbeitsminister Heil nimmt Corona-Fälle in Fleischbetrieben als Grund für ein „Aufräumen“ in der Branche. Die setzt sich zur Wehr – und teilt gegen Discounter Aldi aus.

Nach der Häufung von Corona-Fällen in verschiedenen Fleischbetrieben verbietet die Bundesregierung Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen in der Branche. "Es ist kein Hexenwerk, Beschäftigte anzustellen", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil nach der Kabinettssitzung am Mittwoch in Berlin. Für ein Geschäftsmodell, das die Ausbeutung der Arbeiter und die Ausbreitung von Pandemien in Kauf nehme, könne es keine Toleranz geben. 

Das Kabinett beschloss am Mittwoch, dass ab Januar nur noch Mitarbeiter des eigenen Betriebes Tiere schlachten und das Fleisch verarbeiten dürfen. Das Fleischerhandwerk mit seinen oft kleinen Betrieben wird von dem Verbot ausgenommen. Die Verschärfung der Regel ist Teil des „Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft“. 

Mitten in der Debatte sorgt nun Discount-Marktführer Aldi mit der Forderung nach Preissenkungen bei Wurstprodukten für Aufregung. „Die Forderungen von Aldi sind komplett gewissenlos“, sagte am Mittwoch die Präsidentin des Bundesverbandes der deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF), Sarah Dhem, der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor hatte das Fachblatt „Lebensmittel Zeitung“ über die Preisforderungen berichtet.

Aldi fordert niedrigeren Wurstpreis, Widerspruch aus der Industrie

Hintergrund des Streits ist der Einbruch der Scheinefleisch-Preise in den vergangenen Wochen. Aldi betonte, das Unternehmen orientiere sich „wie jeder andere Händler auch“ bei den Preisausschreibungen an dem durch Angebot und Nachfrage geprägten Preisniveau, berücksichtige aber auch andere Kriterien wie Qualität und Leistung. „Als Händler und insbesondere Discounter ist es aber auch unsere ureigene Aufgabe, Kosten- und Preisvorteile an unsere Kunden weiterzugeben.“

Worum es konkret geht: : 

HUNDERTE CORONA-FÄLLE IN VERSCHIEDENEN BETRIEBEN: In mehreren fleischverarbeitenden Betrieben etwa in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein hatte es in den vergangenen Wochen eine Häufung von Corona-Fällen gegeben. Vermutet wird, dass die Infektionen begünstigt werden durch enge Sammelunterkünfte und eine fehlende Einhaltung von Hygieneregeln. Arbeitsbedingungen und Unterbringung der Mitarbeiter, von denen viele aus Osteuropa stammen, stehen schon länger in der Kritik. „Niemand wird mehr ernsthaft bestreiten können, dass das Infektionsgeschehen und die Unterbringung der Menschen in Zusammenhang stehen“, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Katja Mast der Deutschen Presse-Agentur.

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UMSTRITTENE WERKVERTRÄGE: Ins Visier geraten sind vor allem sogenannte Werkverträge. Damit können Unternehmen bestimmte Arbeiten bei anderen Firmen einkaufen, die sich dann um die komplette Ausführung kümmern. Das soll mehr Flexibilität etwa bei stark spezialisierten Tätigkeiten ermöglichen. Doch Konstruktionen mit mehrfach verschachtelten Subunternehmern erschweren am Ende auch Kontrollen, wie Heil beklagte: „Da wird organisiert Verantwortung abgewälzt, so dass niemand mehr verantwortlich gemacht werden kann.“

Clemens Tönnies, Fleischfabrikant und Vorstandsvorsitzender von Schalke 04 hatte sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" gegen eine Abschaffung der Werkverträge ausgesprochen. „Ein generelles Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft hätte massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge“, argumentiert Tönnies. Alternativ forderte er einen brancheninternen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde.

Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies.
Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies.

© David Inderlied/dpa

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WAS NUN GEPLANT IST: Ab dem kommenden Jahr sollen Werkverträge in der Fleischindustrie weitgehend verboten werden. Das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch soll ab 1. Januar 2021 nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein. Die gesetzliche Regelung soll den Plänen des Arbeitsministers zufolge aber nur Unternehmen treffen, deren Kerngeschäft Schlachten und Fleischverarbeitung ist. „Für Betriebe des Fleischerhandwerks ist eine gesonderte Betrachtung möglich“, heißt es in Heils Eckpunkten für ein „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“, die im Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen wurden.

Höhere Bußgelder, Arbeitszeiterfassung und stärkere Kontrolle der Betriebe geplant

Geplant sind außerdem eine Verdoppelung der maximal möglichen Bußgelder bei Arbeitszeitverstößen von heute 15.000 auf bis zu 30.000 Euro, die Einführung einer Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung und mehr Kontrollen von Fleischbetrieben. Arbeitgeber, die eine Unterkunft für Beschäftigte stellen, sollen zudem verpflichtet werden, die Behörden über Einsatz und Wohnort ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu informieren.

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„KEINE SOZIALE SPALTUNG ÜBER DAS SCHNITZEL“: In der Diskussion über das Thema ist immer wieder auch der Preis ein großes Thema. Billigangebote bei Fleisch sorgen bei Bauern wie Tierschützern für Ärger. Auch Arbeitskosten spielen da eine Rolle. „Gekoppelt an höhere Tierschutzstandards und eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung kann auch eine Tierschutzabgabe dazu beitragen, den Umbau zu artgerechter Tierhaltung zu finanzieren“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der dpa. Der Bauernverband mahnt allerdings auch, die Fleischerzeugung dürfe nicht ins Ausland verlagert werden.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem „Tagesspiegel“, Ziel müsse eine gemeinwohlorientierte Agrarpolitik sein, in der Fleisch ein „edles, aber kein Luxusprodukt“ sei. „Ich will keine soziale Spaltung über das Schnitzel“, sagte Bartsch.

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Arbeitgeberverband droht mit Abwanderung 

GEWERKSCHAFTEN VS. ARBEITGEBER: Der Ton ist rau. Arbeitsminister Heil sei von Gewerkschaftern aufgehetzt und stigmatisiere ohne fachliche und sachliche Kenntnis eine einzelne Branche sagte Heike Harstick, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der Fleischwirtschaft, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auf Werkverträge könne nicht verzichtet werden. „Denn für viele manuelle Arbeiten wie in der Fleischwirtschaft findet man keine Arbeitskräfte mehr auf dem deutschen Markt.“ Harstick rechnet damit mit, dass durch ein Verbot „große Teile der Fleischproduktion ins Ausland abwandern“ werden. Die aufgetretenen Corona-Fälle in Betrieben der Fleischwirtschaft seien Einzelfälle.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht dagegen von „organisierter Verantwortungslosigkeit in der Fleischindustrie“. „Die Werkverträge sind die Wurzel dieses Übels und gehören abgeschafft“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der dpa. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie seien seit Jahren eine Katastrophe. Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hatte ein Verbot von Werkverträgen verlangt.

Überwiegend Zustimmung

Grünen-Chef Robert Habeck lobte die Kabinettsbeschlüsse zu den Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeiter in der Fleischindustrie. Die Regierung sollte sich aber das gesamte Agrarsystem anschauen, Dumping-Verhältnisse gebe es auch bei der Tierhaltung, sagte Habeck dem Fernsehsender Phoenix.

Auch der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) begrüßte das von der Bundesregierung beschlossene Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie. Dies sei „ein großer Sieg“ für alle Beschäftigten und alle Menschen, die seit Jahren „gegen dieses System der Ausbeutung kämpfen“, erklärte Laumann am Mittwoch in Düsseldorf.

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Nach Jahren vieler bekannt gewordener Missstände handelt die Bundesregierung endlich.“ Neben den Arbeitsbedingungen seien es auch Tierschutzfragen, die geklärt werden müssen. „Warum etwa wird immer noch hingenommen, dass hunderttausende Tiere ohne ausreichende Betäubung in den Schlachtprozess gehen? Warum werden die Tiere oft über hunderte Kilometer transportiert, bevor sie in einen qualvollen Tod gehen? Das sind Tierschutzfragen, keine Fragen des Arbeitsrechts“, fügte Schröder hinzu.

Viele Käufer werden steigende Fleischpreise nach Einschätzung von Verbraucherschützer Klaus Müller akzeptieren. „Bessere Bedingungen in der Fleischindustrie sind überfällig“, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. (dpa, Tsp, Reuters)

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