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Treffen in Moskau. Wladimir Putin, Alexis Tsipras.

© dpa

Alexis Tsipras bei Wladimir Putin: Der Flirt mit Moskau grenzt an Verrat

Würde Alexis Tsipras sich konstruktiver zeigen, würden sich auch die EU-Partner weniger verschließen. Stattdessen wird gepokert, geblufft, gedroht - und ein erklärter EU-Gegner besucht. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Er macht es Griechenlands verbliebenen Freunden in Europa immer schwerer. Was will Alexis Tsipras bei Wladimir Putin – und das gleich zwei Mal innerhalb von gut vier Wochen, am heutigen Mittwoch sowie am 9. Mai? Mit ihren Reiserouten setzen Spitzenpolitiker Zeichen, treffen Aussagen über ihre Interessen, ihre Weltbilder, ihren Stil. Und manchmal auch über ihre Gefühle. Das immerhin darf man Tsipras zugutehalten: Er ist der Ministerpräsident einer Nation, die sich am Abgrund fühlt und verzweifelt nach Rettern sucht. Aber rechtfertigt das die doppelte Moskaureise? Er ist schließlich Regierungschef eines EU-Mitglieds. Die EU hat Putin wegen dessen aggressiver, rechtsbrecherischer Ukrainepolitik mit Sanktionen belegt. Fühlt Tsipras sich denn gar nicht zu Loyalität gegenüber dieser EU verpflichtet – ausgerechnet er, der jetzt wie kein anderer in Europa auf die Solidarität der Partner angewiesen ist?

Wenn wenigstens nachvollziehbare Interessen mit dieser Reise verbunden wären! Doch Putin hat Tsipras wenig anzubieten. Russland schlittert selbst in eine Wirtschafts- und Finanzkrise. Die fehlenden Euro-Milliarden wird Griechenland dort nicht bekommen. Die Berufung auf den gemeinsamen orthodoxen Glauben klingt aus dem Mund zweier Atheisten hohl. Und warum nennt Tsipras die Sanktionen gegen Russland „sinnlos“? Jedenfalls leidet die griechische Wirtschaft nicht spürbar unter ihnen; dafür sind die Exporte nach Russland zu gering.

Diese Umstände machen die Moskaureise umso bedenklicher. Sie dient offenbar vor allem dem Ziel, den EU-Partnern zu drohen: Wir können die gemeinsame Russlandpolitik unterlaufen. Mit einem solchen Erpressungsversuch strapaziert Tsipras die Binnenloyalität in der EU über das erträgliche Maß. Gewiss ist diese EU kein Zusammenschluss altruistischer Staaten, die ihre nationalen Interessen dem Gemeinschaftsnutzen unterordnen.

Nationale Egoismen

Die Brüsseler Verhandlungsnächte sind voller Beispiele für nationale Egoismen, die mit der Drohung durchgesetzt wurden, sich andernfalls dem Konsens zu verweigern, ohne den kein Beschluss gefasst werden kann. Diese Beispiele reichen von französischen Agrarinteressen über britische Beitrittsrabatte bis zu Opt-out-Klauseln, die es Briten, Dänen und Schweden erlauben, dem Euro nicht beizutreten. Doch das waren hart ausgetragene Streitfälle innerhalb der EU-Familie. Was Tsipras jetzt tut, hat neue Qualität: Er flirtet mit einem erklärten EU-Gegner, um die übrigen EU-Mitglieder unter Druck zu setzen. Das grenzt an Verrat.

72 Tage sind Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis nun an der Macht. 72 Tage, in denen viele in Europa um Verständnis für ihr oft rätselhaftes Auftreten warben: Die beiden müssten sich erst mal einen Überblick über das Chaos verschaffen, das die Vorgänger hinterlassen haben; sie hätten einen neuen Stil versprochen und dafür die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen; sie könnten ihre Wahlversprechen nicht gleich wieder brechen; und mit der Zeit würden sie den nötigen Pragmatismus entwickeln.

Von der erhofften Annäherung an die Realität ist auch nach 72 Tagen wenig zu sehen. Viele in der EU wären ja bereit, das nächste Hilfspaket für Griechenland zu schnüren – sofern Tsipras und Varoufakis wenigstens den Anschein erweckten, dass auch sie ihren Teil dazu beitragen. Da wird die Reiseroute zur Chiffre für eine insgesamt fragwürdige Politik der neuen Regierung in Athen. Tsipras ist in der falschen Richtung unterwegs. Griechenland hätte doch Freunde, die helfen wollen, trotz allem, noch immer: in Brüssel, nicht in Moskau. Wenn er nach Brüssel führe, zwei Mal, fünf Mal, zehn Mal, um an einem Programm zu arbeiten, das Griechenland eine Zukunft eröffnet, dann würden sich die EU-Partner nicht verschließen. Stattdessen Pokern, Bluffen, Drohen … Wohin das führt? Immer wahrscheinlich zum „Graccident“, einem Ausscheiden aus dem Euro, das wie ein Unfall, den niemand beabsichtigt hat, über Europa kommt.

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