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Politik: Allah oder Schily

Experten wollen ein Aussteigerprogramm für militante Islamisten – der Innenminister ist dagegen

Von Frank Jansen

Dieser Disput kennt keine parteipolitischen Grenzen. In der Frage, ob im Kampf gegen militante Islamisten ein Aussteigerprogramm aufgelegt und die Kronzeugenregelung wieder eingeführt werden sollte, stehen manche Sozialdemokraten an der Seite der Union. Die Bundesregierung laviert: Der Innenminister ist dagegen, potenziellen Aussteigern der islamistischen Szene ein gezieltes Angebot zu machen, verhandelt aber mit dem Justizministerium über einen Strafnachlass für aussagewilllige Angeklagte.

„Schon ein Aussteiger kann eine große Anzahl Menschenleben retten“, mahnt der Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemals SPD-Justizminister in Niedersachsen. Der Rechtsstaat müsse Islamisten ein Angebot machen, „die sich auf dem Weg in den Terrorismus befinden und dann doch Zweifel bekommen“. Der Verfassungsschutz könnte sich solcher Aussteiger annehmen, aber auch die mit den Sicherheitsbehörden nicht verwobenen Ausländerbeauftragten in Bund und Ländern. Pfeiffer fordert auch, die 1999 abgeschaffte Kronzeugenregelung bei Terrordelikten und organisierter Kriminalität neu zu beleben – in veränderter Form. Könne sich ein Kronzeuge plötzlich nicht erinnern, müsse ein Gericht die Möglichkeit haben, trotz anderer Zusagen doch eine hohe Strafe zu verhängen.

„Der Schutz der Bevölkerung vor dem islamischen Terror macht es zwingend notwendig, über Kronzeugenregelungen nachzudenken“, sagt Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und spricht sich auch für Aussteigerprogramme aus. Der Chef des Bundeskriminalamts, Ulrich Kersten, fordert die Kronzeugenregelung. Es gebe Personen mit Insiderwissen, die sich offenbaren würden – wenn sie wüssten, „was für sie herausspringt“. Für Kronzeugenregelung plus Aussteigerprogramm votiert der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Und Ottmar Breidling, Richter im Düsseldorfer Prozess gegen einen reuigen Al-Tawhid-Mann, appelliert „dringend“ an den Gesetzgeber, über milde Strafen für Kronzeugen nachzudenken.

Das Bundesinnenministerium hält ein Aussteigerprogramm für sinnlos. Die islamistische Szene sei im Unterschied zu Neonazis zu sehr abgeschottet. Im braunen Milieu meldet das Bundesamt für Verfassungsschutz Erfolge: Bei der im April 2001 geschalteten Hotline für Aussteiger seien mehr als 200 Anrufe „potenziell ausstiegswilliger“ Rechtsextremisten eingegangen. 85 waren oder befänden sich noch „in intensiver Betreuung“.

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