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Politik: Alle in einem Boot

Was macht die Hansestadt an Alster und Elbe aus? Traditionen? Kaufleute? Hafen? Medien? Frische Brise? All das, und doch bleibt es hier unerwähnt. Denn Hamburg hat in diesen Wochen tiefe Einschnitte in sein Selbstverständnis erlebt. Eine Betrachtung.

HAMBURG WÄHLT

Hamburg in etwa 100 Zeilen? Das kann ich nicht. Also schreibe ich nicht über die Vorzüge, Stärken, Traditionen Hamburgs und Klischees über uns Hanseaten. Nicht über treue lebenslange Freundschaften mit Hamburgern, hat man sie einmal gewonnen. Nicht von hanseatischen Kaufleuten, deren Handschlag noch immer gilt. Nicht von anglophiler Imagepflege unserer global operierenden Kaufmannschaft mit ihrem Motto: Über Geld redet man nicht, Geld hat man. Nicht von der unersetzbaren Funktion der Stadt als Arbeitsplatz und Lokomotive des ganzen Nordens. Nicht von unserem stolzen Hafen seit 1189, den Hamburger Medien und Magazinen, den vielen prosperierenden kleinen und mittleren Unternehmen, die auf „low profile“ und „high profit“ setzen.

Nicht von Künsten, Bühnen, Freizeit noch von Reiten, Segeln, Hockey, Golf, von Freizeit, Küste, frischer Brise. Nicht schmerzlich von unserer eindrucksvollen Olympiabewerbung, die den Emotionen der Einheit zum Opfer fiel. International hätte sie Erfolg haben können, aber darauf kommt es wohl nicht an. Und nicht einmal von Schönheit und Lebensqualität der Stadt an Alster und Elbe, die wie Phönix aus der Asche neu erstanden ist. Sondern ich beschränke mich und beschreibe den tiefen Einschnitt in das Selbstverständnis der Stadt in diesen Wochen.

Eine Liebeserklärung

Der ehemalige Innensenator und heutige Ehrenbürger Hamburgs, Helmut Schmidt, hat aus Anlass seines 85. Geburtstages im Rathaus gerade eine Liebeserklärung an die Stadt abgegeben: „Unsere schöne Stadt Hamburg ist eine Heimat von großer Qualität.“ Liest man jedoch Hamburger Zeitungen, kann man den Eindruck gewinnen, die vielen Stärken dieser Heimat seien, endlich, in den zwei Jahren der CDU-geführten Koalition entstanden.

Schon 2001 war der Umschwung spürbar. Zwar erzielte die Hamburger CDU nur 26 Prozent, „business as usual“, doch verloren die sieggewohnte SPD und Bürgermeister Runde die Wahl in ihrem eigenen Wählermilieu gegen den Richter Schill. Aus dem Stand erzielte der knapp 20 Prozent der Stimmen, in Arbeiterhochburgen der SPD wie Wilhelmsburg 36 Prozent. Davon mag nur noch ein Bruchteil übrig sein, ob mehr als fünf Prozent wird man sehen.

Und doch ist der Einschnitt in die Seele der Stadt Anfang 2004 tiefer, grundlegender. Galt seit 1946, die Stadt sei gut sozialdemokratisch, werde tatkräftig und erfolgreich regiert, Hamburgs SPD sei anders, die „CSU der SPD“ (Helga Schuchardt), die könne man auch in der Mitte und etwas rechts davon sehr wohl wählen, so dominiert zweieinhalb Jahre nach Beginn der Koalition Beust/Schill/ Lange die CDU? Ole allein im (Rat-)Haus, ohne Schill, ohne FDP und Lange. Herr von Beust, ganz gegen sein freundliches Image, hat in nur zwei Jahren politisch aufgeräumt. Die Bürger honorieren das, statt ihm die nennenswerten Skandale seines Senats anzulasten. Keine böse Nachricht scheint an ihm zu haften – ein in der Politik unbezahlbarer Vorteil, der die SPD zu Beginn einer schwierigen Wahlperiode vor einer Koalition mit diesem Bürgermeister warnen sollte.

Verdeckte Frustration

Seit Umfragen die einsame Höhe des Amtsinhabers offenbaren, werden in der Hamburger Gesellschaft und in den einflussreichen Institutionen der Stadt – weit über Parteipolitik im engeren Sinne hinaus – gegenüber der jahrzehntelangen Mehrheitspartei Gräben sichtbar. Offenbar lange verdeckte Frustrationen brechen sich Bahn, Gegensätze werden offensiv ausgebreitet, die man bisher wechselseitig kannte und sachlich respektierte. Hanseatische Gesetze der Gemeinsamkeit und der Höflichkeit sind außer Kraft.

„Hamburg leidet an einer bisweilen übertriebenen Parteilichkeit!“ wie Helmut Schmidt seiner Stadt erst im Januar ins Stammbuch schrieb. Ja, es wird konfrontativ Partei genommen. Das war in Hamburg bisher eher nicht so, auch nicht in den Salons der alten Familien und der Wirtschaftselite der Kaufleute, Reeder und Manager. Gute Zusammenarbeit und beiderseitige Anerkennung zwischen Rathaus und Börse galt seit 1946 als hanseatische Ehrenpflicht – auch gegenüber den sozialdemokratischen Bürgermeistern. Davon ist im Rückblick heute wenig übrig. Alle fünf noch lebenden ehemaligen Hamburger Bürgermeister haben sich kürzlich zusammengefunden – das ist sonst keineswegs die Regel – und gemeinsam erklärt: „In der Demokratie geht es um Tatsachen, nicht um Stimmungen. Seit Monaten soll klein geredet werden, was wir für diese Stadt geleistet haben. Wir glauben: Das geschieht mit Absicht. Dagegen wehren wir uns.“

Gesprengte Grenzen

An der aktuellen Stimmung in Hamburg mag dieser Vorgang noch ein wenig ändern. Man kann ihm vor allem entnehmen, dass bei dem seit Monaten erkennbaren – demokratisch legitimen – Versuch, die Stadt von oben „umzudrehen“, eine dauerhafte Hegemonie der CDU zu begründen, im Umgang mit den großen Leistungen der Hamburger SPD ab 1946 der Bogen überspannt ist. Auch wenn daran die Hamburger Springer-Blätter seit Monaten einen gewissen Anteil haben mögen, der Ursprung liegt in der Hamburger Gesellschaft. So entstehen offene Rechnungen. Jedenfalls steht der überparteiliche frühere hanseatische Grundkonsens nur noch auf tönernen Füßen.

Dabei leidet die Stadt durchaus an Strukturproblemen langfristiger Natur: Sie hat ihre Grenzen längst gesprengt. Die Pendlerströme zehren den Haushalt aus. Alle wichtigen Planungsfragen können nur mit dem Bund und den Nachbarn gelöst werden. Ein kleiner Stadtstaat mit hohem Steueraufkommen und wenig Gewicht in der Hauptstadt weckt Begehrlichkeiten, steckt in vielfältigen Abhängigkeiten, braucht also Einigkeit, „viribus unitis“, wie es in die harte Eiche der Ratsstube geschnitzt steht. Außerhalb des Senatsgeheges herrscht jetzt mehr denn je das Gegenteil.

Keine rosigen Aussichten

Man wird sehen, ob Herr von Beust die Mehrheit der Mandate holt oder ob SchwarzGelb möglich wird. Sein Landesvorsitzender spekuliert im Alleingang nun doch auf Schwarz-Braun mit der alten Schill-Partei. Sollte weder das eine noch das andere und auch Rot- oder Schwarz-Grün nicht zustande kommen: Im Fall der Fälle wäre die entstandene Verhärtung keineswegs eine stabile Grundlage für eine schwarz-rote Koalition.

Sollten die Wähler, wie die Umfragen voraussagen, die SPD nach Jahrzehnten mit einem Tritt unter 30 Prozent entlassen, spricht wenig für die Wiederholbarkeit der nützlichen Bremer Konstellation unter Henning Scherf, viel für Reibungen statt Lösungen wie in der Berliner Koalition unter Eberhard Diepgen. Keine rosigen Aussichten für die Lösung der großen Sachfragen. „Concordia parvae res crescunt, discordia maximae dilabuntur“ (Durch Eintracht wächst das Kleine, durch Zwietracht zerfällt das Große) – auch das liest man im Rathaus, diesmal in Bronze. In Hamburg hätte Anlass bestanden, sich rechtzeitig darauf zu besinnen.

Der Autor (62)

ist Mitglied der SPD

und war von

1988 bis 1997

Erster Bürgermeister

von Hamburg .

Foto: dpa

Henning Voscherau

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