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Politik: Alle Kinder im Blick

Von Tissy Bruns

Nein, hat Klaus Wowereit auf die Frage geantwortet, ob er seine Kinder in Kreuzberg zur Schule schicken würde. Das war nicht aufrichtig. Nichts anderes macht er doch jeden Tag! Im Fall eines Regierenden Bürgermeisters sind „seine Kinder“ schließlich die Landeskinder, eben alle Berliner Kinder. Kleine und große, schnelle und langsame, deutsche und ausländische. Darunter solche, deren Eltern sich die Freiheit nehmen können, vor schlechten Schulen wegzuziehen oder auf private auszuweichen. Kinder, die in Kreuzberg oder anderen schwierigen Stadtteilen auf gute Schulen und engagierte Lehrer treffen. Und sehr viele, die am ersten Schultag geradewegs in eine Sackgasse geschickt werden, zum Beispiel in Kreuzberg, Neukölln oder Wedding.

Und alle, das muss mit Betonung gesagt werden, alle Berliner Kinder besuchen Bildungseinrichtungen, öffentliche und private, für deren Sorgen und Schwierigkeiten sich der tonangebende Mainstream dieser Stadt verdammt wenig interessiert. Das Verständnis, das Wowereit für Eltern geäußert hat, die den Kreuzberger Schulen den Rücken kehren, ist ein verräterischer Ausdruck dieser Gleichgültigkeit. Obendrein politisch korrekt. Irgendwie ist es nämlich schick geworden, aus der Berliner Schulnot eine Tugend zu machen und nachvollziehbare private Lösungen unter der Hand zum Weg für alle zu verklären – wer wirklich will, der schafft es schon.

Kinder sollen nicht ausbaden, was Erwachsene zu verantworten haben, missglückte Integration zum Beispiel oder soziale Spaltungen. Wer wegen der Schule mit seinem Kind in einen anderen Stadtteil zieht, trifft eine verantwortliche Entscheidung. Allerdings hat sie eine öffentliche Kehrseite, die niemand wegdiskutieren kann: Für die zurückbleibenden Kinder verschlechtert sich die Schulsituation zusätzlich. „Kreuzberg“, „Neukölln“ oder „Rütli“ sind zu Chiffren für diese Entmischung geworden, zu bundesweit bekannten Begriffen für Ausländerrestschulen, frühes Scheitern und Ausbildungsnot.

Was als private Haltung legitim sein kann, ist deshalb als öffentliche kalt und unerlaubt. Auf Kinder und Heranwachsende ist das Wort nicht anwendbar, wonach jeder seines Glückes Schmied ist. Die Erwachsenenwelt muss sich gerade um die Kinder kümmern, die keine starken Eltern haben. Erst recht müssen das gewählte Repräsentanten. Die Kreuzberg-Frage aber hat Klaus Wowereit beantwortet, als ginge es um fiktive Kinder seines privaten Milieus. Der Regierende Bürgermeister hat sich nicht angesprochen gefühlt, der für die leibhaftigen Kinder verantwortlich ist, die er jeden Tag in „Kreuzberg“, „Neukölln“ oder „Rütli“ auf die Schule schickt.

Insofern war es doch eine aufrichtige Antwort. Für die Schulen, für Kinder und Heranwachsende hat sich unser Kulturbotschafter bisher nicht übertrieben eingesetzt. Sein vorheriger Schulsenator musste einen einsamen Kampf führen. Bei der Föderalismusreform hat ihn der Status der Stadt interessiert, nicht aber das Kooperationsverbot, das Bundeshilfen für die Bildung, wie zum Beispiel für die Ganztagsschulen, künftig ausschließt. Fragen der Schulorganisation waren wichtig bei den Koalitionsverhandlungen, aber eine Orientierung für das Berliner Hauptschuldilemma fehlt.

Den Schulen fehlt es nicht zuerst an Geld oder Personal. Es fehlt das Lebenselixier: eine Gesellschaft, die mit Neugier, Empathie und Anteilnahme in allen Kindern ihre Zukunft sieht.

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