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Politik: „Alle Reformansätze stoßen sehr bald an Grenzen“

EU-Sonderbeauftragter: Israels Besetzung verhindert Funktionieren der palästinensischen Gesellschaft

Es gibt die so genannte Road Map zum Frieden im Nahen Osten. An welcher Stelle des Weges stehen wir heute?

Um ehrlich zu sein, der ganze Prozess ist im Grunde immer noch in einem Vorstadium. Die Idee der Road Map ist es, Israel und die Palästinenser dazu zu bringen, parallel und unabhängig von dem Verhalten der jeweils anderen Seite bestimmte Verpflichtungen zu erfüllen. In der Realität war dies bisher nie der Fall. Die Israelis machen das Ende des Terrorismus zur Vorbedingung für Fortschritte. Und die Palästinenser nennen den Stopp des Siedlungsbaus als Vorbedingung.

Ist die Road Map eine politische Fiktion?

Sie ist ein wichtiges politisches Instrument, das bislang aber noch nicht voll zum Einsatz gekommen ist.

Was hat sich seit dem Tod von Jassir Arafat verändert?

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gilt bei den Israelis als ein Mann, der gegen Gewalt ist. Daraus könnte eine Dynamik entstehen, die zu mehr Vertrauen führt. Aber auf der palästinensischen Seite gibt es bislang keinen ausreichenden Konsens, Gewalt gegen Israelis ganz zu beenden. Und auf der israelischen Seite gibt es bislang keine Bereitschaft, den Ausbau der Siedlungen endlich zu stoppen. Die Siedlungen sind eine riesige Hürde für das Ende der israelischen Besetzung.

Im August will Israel aus dem Gazastreifen abziehen. Was kann die EU für die 1,2 Millionen Menschen tun, die dort leben?

Wir planen ein Sofortprogramm, um die Infrastruktur zu reparieren – Stromversorgung, Wasser- und Abwasserversorgung. Wir wollen helfen beim Bau eines Mittelmeerhafens. Und wir sind bereit, den palästinensischen Flughafen in Rafah zu reparieren.

Ein wichtiger Aspekt innerer Reformen sind Institutionen. Was tut die EU hier?

Wie helfen den Palästinensern, die Institutionen für ihren künftigen Staat aufzubauen. Sie haben zum Beispiel sehr große Fortschritte bei der Finanzverwaltung gemacht. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Reform der Sicherheitskräfte. Hier haben wir ein Ausbildungsprogramm für die Polizeikräfte begonnen. Und ein dritter Punkt ist der Ausbau des Justizsystems.

Gibt es Fortschritte?

Alle diese Reformansätze stoßen sehr bald an Grenzen, wie in den betreffenden Berichten der Weltbank zu lesen ist. Denn die Lebensbedingungen der Palästinenser sind durch die israelische Besetzung enorm beeinträchtigt. Die Menschen leben praktisch in einem großen Gefängnis. Warum sollten sie sich dann motiviert fühlen, sich für politische Reformen einzusetzen? Die Weltbank hat zudem betont, dass das System der israelischen Straßensperren in der Westbank ein normales Funktionieren der palästinensischen Gesellschaft praktisch unmöglich macht.

Mitverantwortlich für diese miserablen Lebensumstände der Palästinenser, für dieses Leben im Gefängnis sind auch die Mauer und der Zaun, mit denen Israel die Westbank abriegelt. Die Mauer geht teilweise mitten durch Ortschaften hindurch und zwingt die Menschen zu langen Umwegen. Was bedeutet dieses Bauwerk für die Aussichten auf Frieden?

Ich habe diese Mauer gesehen, besonders in der Region von Jerusalem. Sie ist eine hohe Hürde für den Frieden. Israel sagt zwar, dass es die Mauer wieder abreißen wird, wenn sich die Sicherheitslage verbessert. Aber wir sind nicht naiv. Diese Mauer hat speziell in Jerusalem nicht allein die Funktion einer Sicherheitssperre, sondern sie hat de facto auch eine politische Funktion im Kampf um den künftigen Status von Jerusalem. Hier werden von Israel Fakten geschaffen – ein sehr problematisches Vorgehen.

Das Gespräch führten Andrea Nüsse und Martin Gehlen.

Marc Otte (58)

ist belgischer Diplomat und Sonderbeauftragter der Europäischen Union für den Friedensprozess im Nahen und

Mittleren Osten

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