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Politik: Allein nach New York

Deutschland wünscht einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat – von einem europäischen ist nicht mehr die Rede

Still und heimlich gibt die Bundesregierung eines ihrer zentralen außenpolitischen Ziele auf. An den europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat, der im rot-grünen Koalitionsvertrag vom Oktober 2002 noch als „wünschenswert“ bezeichnet wurde, glaubt in Berlin niemand mehr. „Die Bundesregierung wird die Aufnahme Deutschlands als ständiges Mitglied nur anstreben, wenn ein europäischer Sitz nicht erreichbar scheint“, hatten die Koalitionäre vor einem Jahr noch formuliert. Jetzt taucht der Wunsch nach dem deutschen Sitz in fast jeder Rede Gerhard Schröders auf. Im Rückschluss bedeutet dies: Der europäische Sitz ist in sehr weite Ferne gerückt und scheint offenbar nicht mehr erreichbar.

Der Kanzler formuliert den Berliner Wunsch vorsichtig. Vor der UN-Vollversammlung in New York sprach er von der „Bereitschaft“, mehr Verantwortung zu tragen. Am Donnerstag im Bundestag, wo die Ergebnisse seiner New-York-Reise debattiert wurden, schlug Schröder eine „noch bessere Legitimation des Sicherheitsrats“ vor. Hierzu sei die „Erweiterung um Staaten der Dritten Welt, unter Umständen unter Einbeziehung Deutschlands und Japans“, wünschenswert. In der ARD hatte der Kanzler zuvor gesagt, ein deutscher Sitz sei „nicht ausgeschlossen“. So vorsichtig die Wortwahl auch ist – der angestrebte europäische Sitz taucht gar nicht mehr auf.

Über die Erweiterung des Sicherheitsrats wird seit mehr als zehn Jahren diskutiert. UN-Generalsekretär Kofi Annan räumte dem Thema in seiner Auftaktrede zur Generalversammlung einen prominenten Platz ein. Er forderte eine Erweiterung des Gremiums, um es effektiver zu machen und „die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts“ widerzuspiegeln. Der Sicherheitsrat müsse „das Vertrauen der Staaten und der Weltöffentlichkeit wiedererlangen", sagte Annan, „das muss ihm gelingen, indem er seine Fähigkeit demonstriert, mit den schwierigsten Angelegenheiten effektiv umzugehen, und indem er die internationale Gemeinschaft auf einer breiteren Basis repräsentiert.“ Nach Annan sprachen sich auch Frankreichs Präsident Jacques Chirac, Brasiliens Staatschef Luiz Inacio Lula da Silva und Japans Außenminister Yoriko Kawaguchi in ihren Redebeiträgen für eine Erweiterung aus.

Dabei war es Chirac, der Deutschland und Japan ins Spiel brachte. Er begründete das mit deren ökonomisch-politischer Bedeutung. Japan ist der zweit-, Deutschland der drittgrößte Beitragszahler der UN. Darüber hinaus schlug Chirac die Erweiterung durch Mitglieder aus Asien, Afrika und Südamerika vor und nannte später Indien als Kandidat.

Ein fester deutscher Sitz am Tisch der Großen war jahrelang eine Forderung der KohlKinkel-Regierung gewesen. Unter Rot-Grün trat das Thema zunehmend in den Hintergrund. CDU-Chefin Angela Merkel, die am Donnerstag im Plenum des Bundestages auf Schröder antwortete, bekannte ausdrücklich: „Von uns erwartet man ein Stück Führung.“ Auch sie sprach sich für eine Reform der UN-Strukturen aus – nur dann werde die Weltorganisation nicht als „lame duck“ gelten, sondern könnte glaubwürdig ein Gewaltmonopol reklamieren, so Merkel.

Sie lobte die „Ansätze zur Besserung“, die während Schröders USA-Reise im transatlantischen Verhältnis sichtbar geworden seien. „Leicht verkrampft“ habe das Treffen Schröders mit US-Präsident Bush aber schon gewirkt. Die SPD-Fraktion quittierte diese Beobachtung der Oppositionsführerin mit Gelächter. Merkels grundsätzliche Kritik betraf das „Hin und Her, das Schwanken zwischen Extremen“ unter Rot-Grün. Im transatlantischen Verhältnis hätte die Union weder das Versprechen der „uneingeschränkten Solidarität“ noch die gegenteilige Festlegung auf den „deutschen Weg“ so formuliert.

Da „Verlässlichkeit und Berechenbarkeit“ die Voraussetzung nicht nur für deutsche Außenpolitik seien, sondern auch dafür, dass sich Amerika im Gegenzug nicht selbst überschätze, dürfe der Einsatz militärischer Mittel nicht punktuell ausgeschlossen und punktuell zugelassen werden. Generell müsse der Einsatz aller Instrumente zugelassen sein, notfalls auch der militärischen, sagte Merkel. Wirtschaftliche und militärische Stärke sei die Bedingung dafür, dass Berlin mit seinen Partnern gemeinsam die Probleme des 21. Jahrhunderts effektiv angehen könne.

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