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Politik: Alles auf Rezept

DIE GESUNDHEITSREFORM

Von Hartmut Wewetzer

Gesundheitsreform, das ist für viele Deutsche ein Unwort: komplizierte Vorschläge, langer Streit und am Ende passiert – fast nichts. Und diesmal? Wieder haben Hektik, Unruhe und Wirrwarr über Wochen die neuesten Pläne zur Gesundheitsreform bestimmt. Kanzleramt, Gesundheitsministerium, die von der Regierung eingesetzte RürupKommission, die Vorschläge für die Reform der Sozialsysteme unterbreiten soll, und etliche andere Interessenvertreter überboten sich mit Ideen und Gegen-Ideen. Und jetzt hat auch noch die Union ihre eigene Kommission und bereits einen umfassenden Reformplan veröffentlicht. Deshalb war es gut, dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nun für Klarheit gesorgt und am Donnerstag angekündigt hat, ihren „großen Wurf“ im Mai vorstellen und die Modernisierung des Gesundheitswesens bis Ende des Jahres unter Dach und Fach bringen zu wollen. Soviel Zeit darf sein. Mehr aber auch nicht.

Warum muss reformiert werden? Weil die Krankenkassenbeiträge steigen und steigen und das deutsche Gesundheitswesen sich dabei als verschwenderisch und zunehmend unbezahlbar erweist. Es liefert anständige Qualität zu Luxuskosten, den Mittelstandswagen zum Oberklassepreis. Vergleichbare Länder geben weniger für die Gesundheit aus, ohne dass die Lebenserwartung der Bevölkerung deshalb geringer, ihre Versorgung wesentlich schlechter wäre. Hinzu kommt, dass unsere Gesellschaft älter und damit kränker wird. Auch der medizinische Fortschritt kostet Geld. Gleichzeitig mangelt es an Qualitätskontrolle und Transparenz. Dem Wildwuchs in manchen Bereichen des Gesundheitswesens – es wird zu viel, zu wenig oder das Falsche gemacht – steht ein Defizit bei der Vorbeugung gegenüber.

Die Reformer stehen vor der Aufgabe, die Kosten für die Krankenkassen zu senken. Die medizinische Grundversorgung darf dabei nicht in Frage gestellt und der „Jobmotor“ Gesundheitswesen nicht abgewürgt werden. Zugleich muss belohnt werden, wer gute Medizin liefert. All das lässt sich nur bewerkstelligen, wenn der Patient zukünftig mehr Eigenverantwortung trägt und unter den Leistungsanbietern der Wettbewerb eröffnet wird. Die Vollkasko-Mentalität mancher Patienten hat keine Zukunft mehr, genauso wenig wie Privilegien und Monopole auf Seiten des Gesundheitswesens.

Ulla Schmidts Eckpunkte-Papier geht in die richtige Richtung. Es geht um mehr Qualität und Durchschaubarkeit, um mehr Flexibilität und Wirtschaftlichkeit. Diese Ideen sind richtig, auch wenn die Details noch ungeklärt oder strittig sind. Aber sie sind kaum die Hälfte dessen, was eine Gesundheitsreform leisten muss. Deshalb darf man gespannt darauf sein, was im Mai auf uns zukommt.

Noch nie war der Druck auf die Politiker so groß, endlich etwas zu unternehmen. Bisher scheiterte die Modernisierung stets im Gestrüpp der Interessen – und daran, dass sich die großen Parteien gegenseitig neutralisierten. Hatte die eine Partei sich zur zaghaften Erneuerung entschlossen, blockierte die andere die Fortschritte oder machte sie nach dem Regierungswechsel rückgängig.

Jetzt ist alles anders. Vielleicht hat die Politik erkannt, was auf dem Spiel steht. Denn auch aus der Union kommt ein brisantes Thesenpapier. Gefordert werden: eine Art Teilkasko-Regelung für den Patienten, der bis zu 300 Euro Therapiekosten selbst zahlt, keine Zahnarzt-Finanzierung durch die Kasse mehr, Einfrieren des Arbeitgeberanteils an der Krankenversicherung, Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus dem Kassenkatalog. Das hört sich gruslig an. Aber es geht um das Ziel. Am Ende sollen alle weniger Beiträge zahlen und mehr im Portemonnaie haben – das ist die Messlatte der Reform. Der Weg dahin führt nur über Einschnitte.

Noch vor zwei, drei Jahren hätte jede dieser Maßnahmen allein eine kleine Revolution bedeutet. Jetzt kommen sie gleich im Paket, und auch noch von der Opposition! Die Fronten zwischen den Erneuerern und der Weiter- so-Fraktion werden vermutlich quer durch die Parteien und Interessengruppen laufen. Vielleicht findet sich endlich eine große Reform-Koalition zusammen, wie sie der Kommissionsvorsitzende Rürup fordert. Denn noch hat die Zukunft eine Chance.

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