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Politik: Alles halb so wild?

Parteienforscher sehen Koalitionsstreit gelassen – bedrohlich für Merkel wäre nur ein Putsch in der CDU

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Berlin - Katastrophale Umfragewerte für die Bundesregierung, großer Krach zwischen Union und SPD – und doch sehen Politikwissenschaftler den Zustand der Regierungskoalition noch nicht als alarmierend an. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte der Göttinger Politikwissenschaftler Peter Lösche, gefährlich für Kanzlerin Angela Merkel werde es erst, wenn sich in der eigenen Partei erheblicher Widerstand gegen sie aufbaue. Die zugespitze Kritik gegen Merkel aus den Reihen der SPD dient nach Einschätzung Lösches vor allem dazu, die sozialdemokratischen Reihen zu schließen. Sie dürfe nicht überbewertet werden.

Zuvor hatte der Parteienforscher Franz Walter, der ebenfalls in Göttingen lehrt, die Kanzlerin in Schutz genommen. In einem Beitrag für „Spiegel online“ bescheinigte er Merkel zwar, mit „oft richtungslos erscheinenden Trippelschritten durch die politische Landschaft“ zu irren. „Ein wenig bizarr“ aber sei es, Merkel vorzuwerfen, sie handele als Kanzlerin der großen Koalition anders als in der Opposition zuvor in Aussicht gestellt. „Wie sollte es anders sein? Schließlich hat Frau Merkel weder ein Mandat noch die Mehrheit für eine Politik, wie sie diese als CDU-Wahlkämpferin entworfen hatte.“ Einen klaren Wählerauftrag habe die Regierung Merkel-Müntefering nicht, ganz folgerichtig enthalte die Politik dieser Regierung „auch ein wenig dies, ein wenig das“. Mehr sei kaum zu erwarten: „In einer großen Koalition sollte es den einen Gewinner im unverzichtbaren Kompromissbildungsprozess nicht geben, sonst scheitert das Bündnis.“ Das gegenwärtige Misstrauen, Argwohn und Drohungen zwischen den Koalitionspartnern sind eher normal, meinen die Experten.

Lösche nennt es ein „Strukturproblem“, dass die Kontrolle der großen Koalition vor allem stattfindet durch die Koalitionsparteien und weniger durch die Opposition. Vieles, was derzeit sehr zugespitzt nach außen vorgetragen werde, habe die Funktion, nach innen zu integrieren. Gestürzt worden seien Kanzler – das zeige die Geschichte von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder – meist aus den eigenen Reihen. Einen Putsch gegen Merkel hält Lösche erst dann für möglich, wenn die CDU-Ministerpräsidenten sich auf eine personelle Alternative verständigen und die Union Landtagswahlen in Folge verliert. Der Passauer Politikprofessor Heinrich Oberreuter mahnte die Koalitionspartner dennoch, sich zu mäßigen: Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddp vermisste er die starke Bereitschaft, „Partei-Egoismen zurückzustellen“. Bei fortgesetztem Krach sieht er ein „Gefährdungspotenzial“ für das Regierungsbündnis.

Auch in der großen Koalition von 1966 bis 1969 hatte es große Anlaufschwierigkeiten gegeben – und auch damals stand die Führungsfrage im Mittelpunkt. Im Gegensatz zur SPD heute, die von Merkel mehr Führung verlangt, wollten die Sozialdemokraten damals die Führungsposition von Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) einschränken. Den entscheidenden Satz sagte der damalige SPD-Fraktionschef Helmut Schmidt: „Es gibt keine Richtlinienkompetenz gegen Brandt und Wehner.“ SPD-Chef Willy Brandt war Außenminister, Herbert Wehner Gesamtdeutscher Minister.

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