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Politik: Als der Rauch weiß wurde

Vor zwei Jahren wurde aus Kardinal Ratzinger Benedikt XVI. – der erste deutsche Papst seit fast 500 Jahren

Berlin - Seine Bitten hat Gott an diesem 19. April 2005 nicht erhört: „Als langsam der Gang der Abstimmung erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute“, erzählte Benedikt XVI. kürzlich bei einer Audienz bayerischen Pilgern. „Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.“ Doch es kam anders.

Es war 17 Uhr 50 heute vor zwei Jahren auf dem Petersplatz in Rom. Gut zwei Wochen zuvor war Johannes Paul II. gestorben, Rom hatte die Rekordzahl von 2,5 Millionen Besuchern beherbergt. Jetzt war das Konklave, der Kreis der 115 wahlberechtigten Kardinäle der katholischen Kirche, in der Sixtinischen Kapelle versammelt, um aus ihren Reihen einen Nachfolger zu bestimmen. „Fumata“ – „Rauch“, schreit plötzlich jemand. Doch der Qualm, der aus dem langen, dünnen Schornstein auf dem Dach Sixtinischen Kapelle aufsteigt, ist schwarz – wieder schwarz, wie schon bei den drei vorherigen Wahlgängen am Vorabend und am Vormittag. Und schwarzer Rauch heißt: Eine Abstimmung ohne Einigung – ohne Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten. Minuten später jedoch beginnt die Menge aufgeregt zu schnattern. Die Farbe des Rauches wandelt sich – aus Schwarz wird Grau, aus Grau wird Hellgrau, aus Hellgrau wird Weiß. Um 18 Uhr 06 ist es Gewissheit: Schwerfällig beginnt die große Glocke des Petersdoms zu schwingen. Die Menschen jubeln: „Viva il Papa!“ – „Es lebe der Papst!“

Schlagartig strömen aus allen Himmelsrichtungen Leute herbei. Als sich um 18 Uhr 45 theatralisch der rote Samtvorhang der Mittelloggia des Petersdoms öffnet, ist der Petersplatz mit 130 000 Menschen bis in den letzten Winkel gefüllt. Zuerst tritt der chilenische Kardinaldiakon Jorge Arturo Estévez nach draußen: „Annuntio vobis gaudium magnum, habemus Papam“, ruft er. „Ich verkünde euch eine große Freude, wir haben einen neuen Papst.“ Dann erscheint endlich der Gewählte im Papstgewand – Kardinal Joseph Ratzinger, der „reverendissimus dominus“, wie ihn soeben der Kardinaldiakon eingeführt hat, „der hochzuverehrende Herr, der sich den Namen Benedikt XVI. gegeben hat“. Die Menge applaudiert, plötzlich herrscht für einen Moment Stille, dann beginnen vorne die Reihen wieder zu jubeln, am Ende skandiert der ganze Platz: „Be-ne-detto! Be-ne-detto!“

Der neue Papst, seit 480 Jahren der erste Deutsche an der Spitze der katholischen Kirche, wirkt angespannt, versucht sich erstmals im offenen, grüßenden, weltumspannenden Arme-Ausbreiten. Dann senkt er die Hände wieder, hält sie gekreuzt, wie schützend vor sich, steht steif und schüchtern da. Die spontane, einladende Geste, die sein polnischer Vorgänger so meisterhaft beherrschte, will ihm noch nicht so recht gelingen. „Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich als einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn zum Diener der Kirche gewählt“, beginnt Joseph Ratzinger seine kurze Rede auf Italienisch, immer wieder von Hochrufen unterbrochen. Er schließt mit den Worten: „Ich vertraue mich euren Gebeten an.“ Anschließend verlässt er die Mittelloggia, hinter ihm schließt sich der schwere rote Samtvorhang. Die Fassadenfenster des Petersdoms sind hell erleuchtet, draußen setzt leichter Nieselregen ein. Kaum eine halbe Stunde später hat sich die Menge in alle Winde zerstreut.

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