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Manche Fragen nerven Tessa Ganserer mittlerweile. Etwa wie es sich anfühlt, in einem „falschen Körper“ zu leben? „Ich bin doch nicht im falschen Körper“, antwortet sie.

© Patrick Guyton

Als Mann auf dem Wahlzettel: Tessa Ganserer will als erste Transfrau in den Bundestag – und gegen „erniedrigende“ Gesetze kämpfen

Die 44-jährige bayerische Grünen-Abgeordnete will im Bundestag für ein neues Transsexuellen-Gesetz kämpfen. Das aktuelle sei entwürdigend, sagt sie.

Sie ist eine Frau, und das zeigt sie. Tessa Ganserer kommt mit engem beigefarbenem Kleid in den Münchner Presseclub, Ringe an Fingern und Ohren, Armreife, eine Halskette. Immer wieder streift sie durch das lange mittelblonde Haar. Sie ist eine Transfrau und der einzige Transmensch in einem deutschen Parlament, der sich zum Wechsel des Geschlechts bekennt.

„Wir können intensiv über Forstpolitik reden“, meint Ganserer mit sonorer Stimme und gepflegtem bayerischen Akzent. „Über Verkehr oder den öffentlichen Dienst, da kenne ich mich super aus.“ Das will die kleine Runde von Journalisten aber nicht.

Die 44-jährige bayerische Grünen-Abgeordnete im Landtag war ein Mann und lebte als solcher. Nun hat sie ihr Geschlecht geändert. Im Herbst hat Ganserer gute Chancen, in den Bundestag zu wechseln.

„Schlüsselerlebnis“ vor zwölf Jahren

Vor zwölf Jahren kam es zu diesem „Schlüsselerlebnis“, wie sie es bezeichnet. Da zog sie ein Kleid ihrer Frau an, alleine – „und dann wusste ich, dass ich kein Mann bin“. Es folgten das Leiden und das Ringen. Das pochende Gefühl, eine Frau zu sein. „Die Jahre vor dem Comingout waren furchtbar“, sagt Ganserer heute. „Ich habe mich so gequält, hatte wahnsinnige Angst vor Ablehnung und Ausgrenzung.“

Transsexualität ist nicht nur ein intimes, es ist auch ein hoch politisches Thema. „Und deshalb will ich nach Berlin“, sagt Ganserer. „CDU/CSU und SPD haben es nicht geschafft, das entwürdigende Transsexuellengesetz von 1981 zu verändern.“

Aus Tessa Ganserer sprudelt es nur so heraus: „Demütigend, respektlos und erniedrigend“, nennt sie die Paragrafen. Wer ein anderes Geschlecht haben möchte, das ihm nicht zugeschrieben ist, muss sich zwei Mal psychologisch begutachten lassen. Ganserer sagt: „Man muss einen Seelenstriptease hinlegen.“

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Es werde gefragt, wann die erste Selbstbefriedigung stattgefunden habe. Der erste Geschlechtsverkehr – und mit wem? Welche sexuellen Fantasien bestehen? Gibt es typisch weibliche Hobbies? Was ist mit Analverkehr? Man müsse sich sogar ausziehen.

Will man das „nicht über sich ergehen lassen“, hat man viele Probleme im Alltag.

Alter Name steht weiter im Pass

In den Ausweisdokumenten steht der alte Name mit dem alten Bild. „Ich kann kein Auto mieten, weil man mir meine Geschichte nicht glaubt“, sagt sie. Auf dem Wahlzettel, sie kandidiert in ihrem Wohnort Nürnberg, steht ihr alter männlicher Vorname, nur in Klammern ist dahinter „Tessa“ gesetzt. „Deadname“ wird der alte Name genannt.

Sie will diesen toten Namen nicht mehr hören oder lesen. In anderen Ländern geht die Annahme eines anderen Geschlechts viel einfacher, erzählt Ganserer. In der Schweiz, Spanien oder Malta beantragt man Ausweisdokumente mit dem neuen Namen und Geschlechtseintrag. Das war es.

In Zwiesel in Ostbayern wurde sie geboren, sie machte eine Ausbildung zur Försterin. Dann studierte Ganserer Wald- und Forstwirtschaft, arbeitete früh bei den Grünen mit. Am 14. Januar 2019 dann das Outing in einem übervollen Saal im bayerischen Landtag: Sie kommt mit Perücke, Kleid, Stöckelschuhen.

Respekt von vielen Abgeordneten – mit einer Ausnahme

Sie sagt, dass sie ein „menschlich sehr angenehmes Gespräch“ mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hatte. Von nun an werde sie als Frau Tessa Ganserer geführt.

„Die Kolleginnen und Kollegen aus der Grünen-Fraktion standen Schlange, um mir zu gratulieren“, erzählt sie. Auch von den anderen Parteien kam Respekt – „mit Ausnahme der Rechtsaußen-Fraktion“.

Es nervt sie, immer wieder als exotische Person betrachtet zu werden. Jede Menge Menschen würden sie hassen, deutlicher will sie dazu nicht werden. Beleidigende oder gar Drohmails übergibt sie regelmäßig der Polizei.

Tessa Ganserer steht auf Platz 13 der Grünen-Landesliste Bayerns für den Bundestag. Bei den jetzigen Umfragewerten wird das locker für den Einzug reichen. Sie rechnet damit, dass noch zwei oder drei Transmenschen ins Parlament kommen, dann können sie gemeinsam für ihre Anliegen kämpfen.

Manche Fragen nerven

Ihr erster Wahlkampf als Frau ist ein anderer als der letzte, 2018 für den bayerischen Landtag. Später erzählte sie, wie kaputt sie damals gewesen sei, wie verzweifelt. Sie musste Termine absagen und brachte es fast nicht über sich, einen Anzug anzuziehen und rauszugehen. Jetzt hat sie keine Männerkleidung mehr.

Manche Fragen nerven Tessa Ganserer mittlerweile. Etwa wie es sich anfühlt, in einem „falschen Körper“ zu leben? „Ich bin doch nicht im falschen Körper“, antwortet sie, „ich habe auch zwei Augen und zwei Hände, mit denen ich liebe Menschen umarmen kann.“

Oder die Frage, wie ihre Frau damit umgegangen ist, was das für die Familie bedeutet? Da braust sie kurz auf: „Das habe ich schon hunderttausend Mal erzählt, das kann man nachlesen.“

2013 heiratete sie, es kamen zwei Söhne zur Welt. Ihrer Frau hatte sie sich als erstes offenbart und kompletten Rückhalt von ihr erhalten.

Wie viel Privatheit benötigt, wie viel Öffentlichkeit erträgt eine solche Beziehung? Für das eine oder andere Foto laufen die beiden Hand in Hand durch die Nürnberger Altstadt. Oder sie umarmen sich. „Mitleid“, sagt Ganserer, „brauche ich überhaupt nicht.“

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