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Machtwechsel. Das Bild zeigt Helmut Kohl 1982 im Bundestag. Im Hintergrund sein Vorgänger Helmut Schmidt, den Kohl mit einem Misstrauensvotum stürzte. Foto: dpa

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Altbundeskanzler: Das politische Erbe des Helmut Kohl

Die Union feiert ihren ehemaligen Kanzler, der vor 30 Jahren angetreten ist. Aber sie sieht ihn nicht als Ratgeber in der Euro-Krise.

Von Robert Birnbaum

Es wird ein etwas kompliziertes Jubiläum, über das Übliche hinaus. Und das liegt beileibe nicht in erster Linie daran, dass der Jubilar ein körperlich schwer angeschlagener Mann ist, den am Dienstag in seinem Rollstuhl an allen Kameras vorbei in die Unionsfraktion zu schieben einiges an Vorbereitung erfordert. Vor 30 Jahren, am 1. Oktober 1982, wählten die Vorgänger dieser Abgeordneten Helmut Kohl zum ersten Mal zum Kanzler. Die Adenauerstiftung wird dem Vorgang ebenfalls eine Feierstunde widmen. Sie findet am Donnerstag im Deutschen Historischen Museum statt, also an einem Ort, der Programm ist. Aber irgendwie müssen sie in der Union das Gefühl gehabt haben, dass die Historienfeier allein nicht genügt. Und so hat der Fraktionschef Volker Kauder mit allseitiger Billigung eine Einladung nach Oggersheim geschickt.

Der rauschende Beifall ist garantiert, das Wiedererkennen auch. Für fast alle ist der Rekordparteichef und Rekordkanzler Teil ihrer eigenen Geschichte. Aus jenem ersten Kabinett sitzt zwar nur noch einer im Parlament: Heinz Riesenhuber, Ex-Forschungsminister und damals wie heute der Mann mit der Fliege. Aber viele haben den Kanzler noch erlebt und sehr viele den Moment, als der Spendensünder vor zehn Jahren im Unfrieden aus dieser Fraktion ausschied.

Seitdem ist der heute 82-Jährige nicht mehr da gewesen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Helmut Schmidt, den Kohl an jenem 1. Oktober 1982 mit einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzte, hat die SPD seither nicht viel häufiger besucht, Hans-Dietrich Genscher ist kein Dauergast bei der FDP. Aber die jahrelange Abwesenheit des Alten aus Oggersheim war unvergleichlich spannungsgeladener, Zeugnis eines vielfältig gebrochenen Verhältnisses. Kohl einzuladen ist darum bis heute keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Bekenntnis.

Übertrieben überschwänglich fällt das Bekenntnis nicht aus. Die Fraktion wird erst eine ganz normale Arbeitssitzung abhalten, mit dem Bericht der Kanzlerin und dem Bericht des Fraktionsvorsitzenden und allem, was ansteht. Erst danach ist Zeit für die Begegnung mit dem Gestern. Der Ablauf ist dem engen Parlamentszeitplan geschuldet, auch der Rücksicht auf den Jubilar: Kohl soll es besser gehen, trotzdem, mehr als ein paar Minuten Ansprache sind von ihm nicht eingeplant; das Reden fällt ihm seit dem Sturz-Unfall in seinem Haus schwer.

Aber die Abfolge – das Heute und Morgen zuerst, dann das Gestern – entspricht zugleich symbolisch der Sachlage. Die ist nicht mehr von der Spendenaffäre geprägt – sie ist in einer Art stiller Übereinkunft dergestalt erledigt, dass es darüber nichts weiter zu sagen gibt. Interessanter ist etwas anderes: Selbst in der schlimmsten Zeit der Euro-Krise war der große Europäer Kohl in der eigenen Partei nie als Anker und Bezugspunkt präsent, geschweige als Ratgeber gefragt. Eher im Gegenteil. Nach einer kurzen Schamfrist spricht inzwischen auch die Kanzlerin Merkel ganz offen von „Fehlern“ und „Konstruktionsmängeln“ in der ursprünglichen Wählergemeinschaft, die es heute zu reparieren gelte. Und ausgerechnet bei jenen Truppenteilen der Union, die sich nichts sehnlicher wünschen als die Wiederkehr der im Rückblick milde verklärten, angeblich so klaren Frontstellungen der 16 Kohl’schen Kanzlerjahre – gerade also bei diesen Parteisoldaten gilt Kohls unbedingter Wille zur Einheit Europas als gelegentlich lästiges Erbe. Die Partei Helmut Kohls kann nicht gegen Europa sein, was aber mancher manchmal gerne wäre.

Bleibt der Anlass des Jubiläums selbst. Bei der FDP hat der Vorsitzende Philipp Rösler neulich an jenes „Wendepapier“ des Otto Graf Lambsdorff erinnert, das 1982 die Trennung der Liberalen von der SPD bedeutete und aus den Liberalen die Wirtschaftsliberalen fest an der Seite der Union machte. Die Feier wurde wenig beachtet, sie fiel nicht besonders euphorisch aus. Theoretisch gilt das Modell des „Marktgrafen“ Lambsdorff bis heute. Praktisch haben spätestens die letzten drei schwarz-gelben Jahre auf beiden Seiten Zweifel verstärkt, ob es sich nicht in drei Jahrzehnten als ideologisches und koalitionspolitisches Ideal überlebt hat.

Schon verständlich ist es also, dass offenbar niemand auf die Idee gekommen ist, das Gedenken an das schwarz-gelbe Ur-Bündnis demonstrativ gemeinsam zu begehen. Nein, sie feiern getrennt – die FDP-Spitze ihren Lambsdorff, die Union ihren Kohl; und erst am Donnerstag im Geschichtsmuseum werden sie dann doch noch gemeinsam zuhören, wie die Kanzlerin absehbar ihren Standardsatz sagt, dass zwischen CDU/CSU und FDP nach wie vor die Schnittmengen am größten seien. Dass das heute extra versichert werden muss, markiert vielleicht den schwierigsten und kompliziertesten Punkt dieses Jubiläums. Ob Kohl sich dessen bewusst ist – man wird es ja dann zu hören bekommen.

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