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Politik: Alte Konflikte, neue Gewalt

Nach der umstrittenen Wahl des kenianischen Präsidenten entlädt sich der Hass gegen seine Volksgruppe

Berlin - James Shikwati fühlt sich „wie in einem Film über Ruanda“. Der Chef eines politischen Thinktanks in Nairobi war zum Wählen in sein Heimatdorf im Westen Kenias nicht weit von Kakamega zurückgekehrt. „Und jetzt bin ich dort gefangen“, berichtet er dem Tagesspiegel. „Das ist ein anderes Kenia, über das ich bisher nur gelesen habe“, sagt Shikwati.

Die blutige Gewalt nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl am Sonntag hat nach neuesten Schätzungen mindestens 250 Menschen das Leben gekostet. Vermutlich sind die meisten Opfer der Gewalt Gikuyus. Mwai Kibaki, der keine Stunde nach der Verkündung des Endergebnisses am Sonntag zum zweiten Mal einen Amtseid ablegte, gehört dieser Volksgruppe an – der größten in Kenia. Das Szenario erinnerte James Shikwati an „Fernsehdokumentationen über Militärputsche in Afrika“. Doch Kibaki gibt sich trotz aller Zweifel an seinem Wahlsieg staatsmännisch. In seiner Neujahrsbotschaft sagte er: „Nachdem die Wahlen hinter uns liegen, ist es Zeit für Versöhnung unter allen Kenianern.“ Im Gegensatz zu seinen Landsleuten, die sich derzeit „nicht einmal ein schönes neues Jahr wünschen“, wie Shikwati sagt, beendete Kibaki seine Ansprache dann doch mit „guten Wünschen“.

Die Stammeskonflikte in Kenia sind nicht neu. Sie liegen im Gründungsmythos des Landes angelegt. Die Gikuyu haben mit dem Mau-Mau-Aufstand den Freiheitskampf gegen die Kolonialmacht Großbritannien angeführt. Sie fühlten sich schon immer als das „Staatsvolk“ und hielten den zweiten Präsidenten Kenias, den autokratischen Daniel arap Moi, nicht wegen seines diktatorischen Führungsstils, sondern wegen seiner Stammeszugehörigkeit zu den Kalenjin für einen „Irrtum der Geschichte“. Denn der Gründungsvater des Landes, Jomo Kenyatta, war selbstverständlich Gikuyu. Allerdings hat Moi die Gikuyu auch während seiner mehr als 20-jährigen Amtszeit, die 2002 durch eine demokratische Wahl, die Mwai Kibaki gewann, endete, immer in hohen Ämtern. Die Gikuyu beherrschen den Staat und die Wirtschaft in Kenia. Und das war nie so krass wie nach den fünf Jahren der Regierung Kibaki.

Kibaki hat noch schamloser als seine Vorgänger Vertraute in allen wichtigen Ämtern installiert. Noch kurz vor der Wahl ernannte Kibaki weitere Richter, die alle Gikuyu sind. Nur mit seinem Versuch, Wahlleiter Samuel Kivuitu unmittelbar vor der Abstimmung zu entmachten, scheiterte er. Kibaki wollte Kivuitu zunächst durch die Frau seines Anwalts ersetzen. Dagegen gab es massive Proteste. Kivuitu galt vor der Wahl im Volk als fair und integer. Nachdem er den knappen Sieg Kibakis mit einem angeblichen Vorsprung von rund 230 000 Stimmen verkündet hat, hat sein Ruf indes merklich gelitten.

Die 42 anderen Ethnien Kenias jedenfalls fühlen sich durch die Gikuyu schon seit der Unabhängigkeit 1963 marginalisiert. Das trifft besonders für die Luo zu, denen Kibakis Gegenspieler Raila Odinga angehört. Dessen Partei ODM eroberte immerhin 96 Parlamentssitze, während Kibakis PNU gerade mal auf 36 kommt. Die Luo im Westen rund um den Viktoriasee leben meist in Armut. Hinzu kommt, dass vor allem Kenias drittgrößter Stadt Kisumu, die mehrheitlich von Luo bewohnt wird, am schlimmsten vom Aidsvirus betroffen ist. Aber auch die Lujah, der drittgrößte Stamm, oder die Nandi, die rund um Eldoret leben, fühlen sich ausgegrenzt.

Ihre Enttäuschung schlägt nun in Gewalt um: In Eldoret verbrannten in einer Kirche mindestens 30 Gukuyu-Frauen und -Kinder, nachdem das Gebäude angezündet worden war. Im ganzen Land sind rund 33 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden. In Busia im Westen campen 800 Gikuyu-Familien auf dem Gelände der Polizeistation. Und aus den Slums in Nairobi hat sich ein Treck von Gikuyus aufgemacht in die Zentralprovinz – Kibakis Heimat.

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