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Politik: Am Ende der Aufklärung

MÖLLEMANNS TOD

Von Tissy Bruns

Sein politisches Leben in den geordneten deutschen Verhältnissen hat viel Stoff geliefert, an dem sich die Fantasie auch der Unpolitischen erhitzen konnte. Es ist viel, wenn einer sich darauf versteht, das Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten herauszufordern. Kurz nach Beginn einer groß angelegten Razzia der Staatsanwaltschaft ist Jürgen Möllemann in einen Tod gestürzt, der den Vermutungen über diesen Politiker weitere, und nun die spektakulärsten, hinzufügt. Sicher lässt sich jetzt nur sagen, dass die Ungewissheiten über diesen Tod und seine Hintergründe wohl niemals restlos aufhören werden, schon weil Möllemanns Tod auch einen Teil der Verfahren gegen ihn beendet.

Möllemann war ganz und gar untypisch. Kein deutscher Politiker hat sich so in den Extremen von Aufstieg und Fall, populären Vorstößen und echter Demagogie, als wirkungsvoller Mitreißer anderer Menschen und klandestiner Einzelkämpfer bewegt. Sein Tod bestürzt und fesselt, weil er uns wie eine radikale und dramatische Zusammenfassung dieses ganzen PolitikerLebens gegenübertritt. In ihm können platte, alte Vermutungen sich bestätigt sehen wie die, dass Hochmut vor dem Fall kommt, Politik ein schmutziges Geschäft ist, das Streben nach Macht, Geld und Ruhm böse enden kann. Er löst die Frage aus, ob Möllemann zum Mythos werden kann, vor allem für die FDP, der er und die ihm zum Feind geworden war. Und schließlich das Gefühl eines Verlustes, weil Möllemann einer der wenigen Politiker war, denen man bescheinigen kann, dass sie die Kunst der öffentlichen Rede und Debatte beherrschen.

Aber Möllemann hatte auch eine ganz und gar typische Eigenschaft für die Politiker unserer Zeit. Er war nicht nur einer, der noch reden und streiten konnte. Er war vor allem ein Politiker der Gegenwart, einer, der die inszenatorischen Möglichkeiten der medialen Kommunikation gesucht und ausgereizt hat wie kaum ein anderer. Das muss heute jeder Politiker, der Erfolg haben, sich durchsetzen, überzeugen will. Aber die wenigsten beachten die Grenzen und beherrschen die Versuchungen, die in dieser politischen Öffentlichkeit stecken. Und am wenigsten tat dies Möllemann. Zu den Eigenschaften, die sein politisches Talent ausmachten, gehörte untrennbar eine andere, die ihn als Politiker zerstört hat: die unwiderstehliche Neigung zur Übersteigerung. Sie unterscheidet ihn fundamental von seinem Mentor Hans-Dietrich Genscher, einem Mann mit sicherem Instinkt für das Angemessene und das richtige Maß. Möllemann konnte andere damit anstecken, Guido Westerwelle zum Beispiel, der, anders als die Generation Genscher, die Mechanismen der modernen Kommunikation über die öffentlichen Angelegenheiten beachten muss: Tempo und Bildhaftigkeit.

Beherrscht hat Möllemann sie eben nicht, er hat sie nur bedient. Denn so berechtigt es ist, wenn Politiker im großen Rauschen der Medienwelt um Attention, um die Aufmerksamkeit der Bürger kämpfen – wer Aufmerksamkeit um jeden Preis sucht, besteht als Politiker auf Dauer nicht. Denn die Fähigkeit zur kurz gefassten politischen Symbolik, die den Politikern der Mediengesellschaft abverlangt wird, ergänzt allenfalls die Liste der Eigenschaften, die Max Weber definiert hat. Sie ersetzt sie aber nicht. Ohne Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß kann kein Politiker bestehen. Und Möllemanns politisches Leben beweist: erst recht nicht heute.

Er ist so weit wie kein anderer gegangen mit dem Versuch, politische Substanz ganz in öffentliche Symbolik zu gießen. Seine 18 wurde eine starke, eine magische Figur, nachdem er eine Landtagswahl für die FDP gewonnen hatte. Die 18 hat einen Bundes-Parteitag samt den Altvorderen der FDP überwältigt. Am Ende war sie so stark, dass ein konsequent liberales Programm der FDP nicht mehr mit ihr wetteifern und der Antisemitismus für Wochen nicht glaubhaft gefesselt werden konnte.

Weil Möllemann das Maß fehlte, eignet er sich zum Mythos nicht. Auch das gehört zum Bild der radikalen, dramatischen Zusammenfassung. Der Tod des Politikers, der sich den Versuchungen der Öffentlichkeit so ausgeliefert hat, versperrt den Weg zu dem, was politische Öffentlichkeit ausmacht: zur Aufklärung.

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