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Politik: Amerikas Diplomatie: Die Logik des Friedens - Die USA kennen keine Schurkenstaaten mehr (Kommentar)

Gelegentlich hört man dieser Tage den Stoßseufzer, die klassische Politik werde verschwinden. Nur noch Show und hektisch Bewegung simulierende Politiker, die zu kaschieren suchen, dass sich fundamental ohnehin nichts ändern läßt.

Gelegentlich hört man dieser Tage den Stoßseufzer, die klassische Politik werde verschwinden. Nur noch Show und hektisch Bewegung simulierende Politiker, die zu kaschieren suchen, dass sich fundamental ohnehin nichts ändern läßt. So verwandeln sich Politiker, die eigentlich sowieso keiner mehr braucht, in publicitysüchtige Betriebsnudeln. Innenpolitisch hat diese These einiges für sich (FDP!), für die EU schon weniger, und jenseits von Europa, zum Beispiel in Korea, gar nichts. Dort ist in der letzten Woche etwas geschehen, was kaum jemand für möglich gehalten hatte: eine Annäherung zwischen dem betonkommunistischen Norden und dem kapitalistisch-demokratischen Süden. Von Entspannung ist die Rede, sogar von Wiedervereinigung in ferner Zukunft.

Komplettiert wird dieser Sieg der Vernunft durch die prompte Antwort aus Washington. Vorgestern kündigte die US-Regierung an, den 50 Jahre währenden Handelsboykott gegen Pjöngjang teilweise aufzuheben. Und gestern hat Außenministerin Madeleine Albright auch noch die US-offizielle Sprachregelung der neuen Wirklichkeit angepasst und die so genannten "Schurkenstaaten" in "Besorgnis erregende Staaten" umgetauft. Das klingt schon anders - eher pädagogisch als militant.

Der Wandel in Washington überrascht. Denn von der US-Außenpolitik kann man durchaus den Eindruck haben, dass ihr ohne Feinde etwas Wesentliches fehlen würde. Trotzdem ist sie lernfähig. Und zwar blitzschnell. Der nächste logische Schritt lautet nun: Wenn es keine "Schurkenstaaten" mehr gibt, braucht die USA eigentlich auch kein 60 Milliarden Dollar teures Raketenabwehrsystem NMD mehr, mit dem sich Washington zudem die Feindschaft Pekings und Moskaus und zumindest äußerst skeptische Blicke in Europa einhandeln würde. Erst ändert man die Terminologie, später die Politik - das weiß auch Albright, bislang bekennende Anhängerin von NMD.

Im Sog des historischen Korea-Gipfels hat Taiwan China Gespräche angeboten. Peking hat erstmal abgelehnt, aber das muss nicht so bleiben. Es gibt nicht nur eine Logik des Krieges mit Drohung, Gegendrohung und Eskalation, sondern auch eine Logik des Friedens: der Wandel ohne Waffen. Wie nach 1989. Und den kann nur klassische Politik bewerkstelligen: ernsthaft, ein bisschen langweilig und mit Möllemann-Faktor Null.

Stefan Reinecke

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