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Politik: Amerikas Rechte ohne eine Mitte (Leitartikel)

Eine der spannendsten amerikanischen Vorwahl-Saisons ist praktisch beendet. Al Gore und George W.

Eine der spannendsten amerikanischen Vorwahl-Saisons ist praktisch beendet. Al Gore und George W. Bush, die Favoriten des Establishments haben sich durchgesetzt. Organisation und Parteiloyalität haben über populistische Reformer gesiegt. Doch jene Millionen Wähler, die sich im vergangenen Herbst zunächst von Bill Bradley und dann in diesem Winter und in wesentlich stärkerem Maße von John McCain erstmals für Politik begeistern ließen, drohen nicht nur Bush und Gore verloren zu gehen. Sie werden Amerika fehlen. Der Kampf zweier orthodoxer Giganten wird weniger überraschend sein als das bisherige Doppel-Duell. Die interessanteren und unkonventionelleren Kandidaten sind ausgeschieden.

Bradley hatte seine Chance - nutzen konnte er sie nicht. Vor allem verstand der Ex-Senator es nicht, seinen professoralen Duktus aufzugeben. Den Intellektuellen mochte er gefallen. Bodenhaftung im breiten Publikum fand er nicht. Mit Gore haben die Demokraten nun einen Anwärter, der bei einigen Reformprojekten etwas vorsichtiger als Bradley ist, im Kern aber ebenso zentristisch wie jener. Gore wird den Demokraten ein guter Kandidat sein, vor allem aber einer, der weniger beschädigt aus den "Primaries" hervorgeht als sein Gegner.

Denn Bush ist in einem eigentümlichen Rollentausch zum konventionelleren der Republikaner-Kandidaten geworden. Er, der mit der Losung "Konservatismus mit Herz" antrat, puren Materialismus geißelte und seine Parteifreunde im Kongress für ihre Beschneidung der Einkommensbeihilfen für Arme angriff, ist nicht nur nach rechts gerückt, er drückt sich auch vor Entscheidungen, die McCain eingefordert hat. Dieser Wahlkampf begann in Friedens- und Wohlstandszeiten als reine Personenwahl, wo Amerika nach Einem Ausschau hielt, der ein wenig mehr ehrliche Haut als Clinton mitbringt, ansonsten aber Kontinuität verspricht. McCain hat daraus eine Grundsatzentscheidung über die Zukunft der amerikanischen Rechten gemacht. Für die reicht es ja nicht mehr, gegen Kommunisten und Kriminelle zu streiten. So hat McCain Fragen aufgeworden, denen Bush nicht entgehen wird. Er hat versucht, die Republikaner zu einer energischen Reformpartei umzubauen, die der Macht von Lobbies und Spenden auf die Gesetzgebung entgegentritt. McCain hat dafür Unterstützung in der neuen Mitte gefunden, die fiskalpolitisch konservativ und in sozialpolitischen Fragen liberal denkt. In Neuengland wäre er damit Präsident geworden. Wo McCain eine neue Programmatik anbot, beantwortete Bush die Orientierung-Krise des Konservatismus mit einem Festhalten am alten Schlachtruf nach Steuersenkungen. Nun hat die Partei Bush gekürt - und verharrt ideologisch im Niemandsland. McCains Erbe bleibt. Wann hat ein republikanischer Präsidentschaftskandidat zum letzten Male den Einfluss der Christlich-Rechten als "Kraft des Bösen" verteufelt?

Bush muss noch entscheiden, ob er auf die alte oder eine neue Allianz setzt. Seinen Sieg verdankt er einer Projektion der Verlässlichkeit, die indes eine Fata Morgana ist. Eine Dynastie mag Stabilität suggerieren. Die Republikaner haben sich mit Bush, einem großen Jungen wie Clinton, aber ohne dessen Intelligenz, dessen Instinkt und dessen Medien-Genie, einen schwierigen Kandidaten erkoren, der es gegen Al Gore nicht leicht haben wird. Bushs Sieger-Image vom vergangenen Sommer ist jedenfalls dahin. Er hat eine zerrissene und verunsicherte Partei hinter sich, sein Land aber noch längst nicht. Bis zum 7. November haben Bush und Gore Zeit, ihre Mehrheit zu finden.

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