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Polizisten stehen Wache vor der Berufsschule in Kertsch.

© dpa

Update

Amoklauf in Kertsch: Krim-Regierung vermutet Helfershelfer bei Angriff auf Schule

Ein 18-Jähriger tötet an einer Berufsschule auf der Krim 20 Menschen. Regierungschef Aksjonow glaubt, "der Schuft" könne nicht allein gewesen sein.

Nach dem Schulmassaker auf der Krim mit vielen Toten suchen russische Ermittler nach Motiven und möglichen Komplizen des Todesschützen. Mit dem Tod eines schwer verletzten Mädchens stieg die Zahl seiner Opfer bis Donnerstagmittag auf 20, wie das russische Gesundheitsministerium in Moskau bestätigte.

Nach ersten Angaben der Ermittler hatte der mutmaßliche Täter, ein 18-jähriger Elektriker-Lehrling, am Vortag in seiner Berufsschule in der Stadt Kertsch um sich geschossen und mindestens einen Sprengsatz gezündet. Dann habe er sich selbst erschossen.

Das Vorgehen war vergleichbar mit Amokläufen in Schulen in den USA wie in Columbine 1999. Für Russland ist es aber die erste derart folgenschwere Tragödie. Auf der Krim herrschte offiziell Trauer. Menschen legten an der Schule Blumen für die Opfer nieder.

„Die Aufgabe ist festzustellen, wer ihn auf dieses Verbrechen vorbereitet hat“, sagte der Regierungschef der Krim, Sergej Aksjonow, am Donnerstag am Tatort. „Hier hat er allein gehandelt. (...) Aber bei der Vorbereitung, das ist meine Meinung und die meiner Kollegen, kann dieser Schuft nicht allein gewesen sein“, sagte Aksjonow der Agentur Interfax zufolge.

Unauffälliger Einzelgänger

Zum Tathergang berichtete "Kommersant", dass der Schütze "von Raum zu Raum gegangen" sei. Er habe nach Art und Weise eines "erfahrenen Kämpfers der Spezialkräfte" zunächst eine "selbstgebaute Granate geworfen, bevor er eingetreten ist und mit dem Gewehr auf die Menschen geschossen hat". Nach jüngsten Angaben des russischen Gesundheitsministeriums wurden 20 Menschen von dem Amokläufer getötet, die Mehrheit von ihnen Schüler.

Das jüngste Todesopfer ist nach Behördenangaben 15 Jahre alt, insgesamt neun waren minderjährig. Die Stadt Kertsch veröffentlichte eine Liste mit 19 identifizierten Toten. Eines der getöteten Mädchen, eine 16-jährige namens Darja Schegerest, wurde nach den Worten einer Freundin getötet, als sie anderen helfen wollte. Die Freundin sagte der Zeitung "Komsomolskaja Prawda": Ich sah, wie meine Freundin Dascha getötet wurde. Sie rannte zu mir und dann fiel sie und atmete nicht mehr."

Unter den Opfern waren auch ein 57-jährige Mathematiklehrerin und ihre 26-jährige Tochter, die ebenfalls an der Schule unterrichtete.

Mehr als 40 weitere Menschen wurden verletzt. Die Behörden veröffentlichten eine Liste mit 42 Verletzten, zwei weitere waren zunächst noch nicht identifiziert. Viele hatte schwere Schuss- oder Explosionsverletzungen. Gesundheitsministerin Veronika Skwortsowa sprach in einem makaberen Vergleich davon, dass die Explosion "Hackfleisch" aus den Opfern gemacht habe. Ärzte hätten Amputationen vornehmen müssen. Der vom Täter gezündete Sprengsatz beinhaltete Metallkugeln und andere Geschosse, die sich in die Körper der Opfer bohrten.

Die Tatwaffe, ein Repetiergewehr, hatte sich der Berufsschüler nach seinem 18. Geburtstag legal beschafft, wie Aksjonow sagte. Er habe sich mit etwa 150 Schuss großkalibriger Schrotmunition versehen. Die Angaben zur Tatwaffe gingen in russischen Medienberichten auseinander. Die Rede war entweder von einer Molot-Bekas russischer Produktion oder einer Hatsan Escort aus der Türkei.

Der Täter wurde von Bekannten als unauffälliger Einzelgänger beschrieben. Es werde posthum ein psychiatrisches Gutachten über ihn erstellt, teilte das Staatliche Ermittlungskomitee am Donnerstag mit.

Nach Angaben der Zeitung "Kommersant" wuchs der 18-jährige Täter in einer "ziemlich armen Familie" auf. Seine Mutter habe in einer Klinik gearbeitet, der behinderte Vater von der Familie getrennt gelebt. Die Mutter sei bei den Zeugen Jehovas gewesen, eine in Russland als "extremistisch" eingestufte und verbotene religiöse Glaubensgemeinschaft.

Bislang seien mehrere Wohnungen des mutmaßlichen Schützen und seiner Angehörigen durchsucht worden. Die Schulleiterin sei vernommen worden, die Befragung anderer Zeugen dauere an. Die Behörde war nach den ersten Nachrichten aus Kertsch von einem Terrorakt ausgegangen, stuft die Tat aber nun vorläufig als Mord ein.

40 Verletzte in Krankenhäusern

Die Ermittler behielten einen möglichen extremistischen Hintergrund indes im Blick, berichtete die Zeitung „Kommersant“ am Donnerstag. Dabei gehe es weniger um Islamismus als um mögliche Verbindungen zu radikalen ukrainischen Gruppen wie dem Rechten Sektor oder der UNA-UNSO. Sie könnten den 18-Jährigen angestiftet haben.

Russland macht aber gewohnheitsgemäß die Ukraine für alle Anschläge oder Notfälle auf der Krim verantwortlich. Es hat sich die ukrainische Halbinsel 2014 einverleibt und als „Heimholung“ des mehrheitlich russischsprachigen Gebiets gerechtfertigt. Die Ukraine sieht die Krim weiter als ihr Staatsgebiet an. Bis auf wenige Ausnahmen lehnen auch andere Staaten die Annexion als völkerrechtswidrig ab. Das Parlament der Ukraine in Kiew gedachte am Donnerstag mit einer Schweigeminute der Opfer.

Die Regierung der Krim veröffentlichte am Donnerstagmorgen eine erste offizielle Liste der Todesopfer. Etwa 40 Verletzte wurden noch in Krankenhäusern behandelt. (dpa, AFP)

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