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Das Mahnmal an der Gedächtniskirche erinnert an die zwölf Opfer des Terroranschlages in Berlin im Dezember 2016.

© Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa

Amri-Untersuchungsausschuss: Ohnmachtsgefühl ist keine Grundlage für effektive Polizeiarbeit

Überlastungsanzeige heißt das Zauberwort bei der Berliner Polizei. Es entschuldigt aber nicht die Versäumnisse im Fall Amri. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Wenn es um Untersuchungsausschüsse geht, hören manche Leute schon bei „Unter“ mit dem Lesen auf. Das kann man verstehen. Der Flughafendesaster-Untersuchungsausschuss untersucht unermüdlich, wer wo wie oft schon versagt hat – und am Flughafen BER geht der Steuergelderverschwendungsbetrieb munter weiter. Den Untersuchungsausschuss zur Rolle der Hypo Real Estate Bank in der Finanzkrise konnte man schon vergessen, bevor er seinen Abschlussbericht vorgelegt hatte: Natürlich hatte die Bundesregierung alles richtig gemacht, auch wenn es die Steuerzahler viele, viele Millionen Euro Steuergelder gekostet hat.

Ein Untersuchungsausschuss, der vor Menschengedenken den Mord an vier kurdischen Exilpolitikern im Berliner Restaurant „Mykonos“ untersuchte, hat eine Menge Versagen gewisser Innensenatoren und gewisser Staats- und Verfassungsschützer dokumentiert. Dass er irgendwelche Karrieren in der Innenverwaltung oder der Polizei behindert hätte, ist nicht bekannt.

Vielleicht kommt es mal anders. Der Ausschuss zur Untersuchung des Mordanschlags auf dem Breitscheidplatz produziert Erkenntnisse, die Folgen haben könnten auf die Organisation des Landeskriminalamts. Am vergangenen Freitag sagte die Leiterin der polizeilichen Staatsschutzabteilung, Jutta Porzucek, vor dem Ausschuss aus. Was sie sagte, lässt tief blicken in eine Polizei, in der nichts so gut funktioniert wie das Wegreden falscher Entscheidungen auf Behördensprech.

Nur das Wegreden falscher Entscheidungen funktioniert

Das alles entschuldigende Zauberwort im Umgang der Berliner Staatsschützer mit dem Dealer, Gefährder, Schläger und späteren Mörder Anis Amri lautet: Überlastungsanzeige. Die Staatsschützerin wies vor dem Ausschuss darauf hin, dass sie in den Monaten vor dem Anschlag ihren Vorgesetzten, den LKA-Chef Christan Steiof, in Serie auf ihre Personalnöte hingewiesen habe, zuletzt nur Stunden bevor der islamistische Amokläufer Amri, so unbehelligt, wie man als Gefährder wohl nur in Berlin herummarodieren kann, einen polnischen LKW-Fahrer erschoss und losfuhr.

Das mit den Überlastungsanzeigen scheint bei den Staatsschützern besser zu funktionieren als die Entscheidung über die Prioritäten der täglichen Arbeit: Beginnt da der Arbeitstag morgens um acht mit der Feststellung, man habe zu wenig Leute, um gute Arbeit zu machen? Und dann? Trotz regelmäßigen Sitzungsgesitzes im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum, wo über Amri gesprochen wurde? Zwar haben es auch die Fachleute des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts für „eher unwahrscheinlich“ gehalten, dass Amri losschlägt.

Doch sagt der oberste Staatsschützer des dortigen LKA (laut „Zeit online“) vor dem Ausschuss über den tunesischen Killer: „Mir ist keine Person erinnerlich, die ich ähnlich kritisch gesehen hätte.“ Und die Übernahme des Falls durch die Berliner Kollegen? Keine Festnahme wegen Dealens, wegen Missbrauchs diverser Identitäten, keine Überwachung: Man erwartete keine neuen Erkenntnisse und hatte zu wenig Leute.

Ohnmacht ist keine gute Grundlage für effektive Polizeiarbeit

Unbestritten, dass die Berliner Polizei Personalprobleme hat. Unbestritten, dass Berlin für ambitionierte Polizisten ein hartes Pflaster darstellt, das sich nicht besser anfühlt, wenn man Überstunden aufschreiben kann. Und doch fällt bei denen, die eigentlich entscheiden müssten, eine Neigung zur Entscheidungsdrückebergerei auf. Im Untersuchungsausschuss hat man bemerkt, dass es nicht mal den Versuch gab, Amri besser zu überwachen, indem man Kollegen aus der Abteilung Linksextremismus auslieh.

Ohnmachtsgefühl ist keine gute Grundlage für effektive Polizeiarbeit. Dabei haben, so der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe, die Staatsschützer ohnehin nur ein Viertel ihrer Verfahren wirklich bearbeitet. Aber zwölf Menschen sind tot. Viele andere leiden weiter an den Traumata, die ein Besuch auf einem harmlosen Weihnachtsmarkt mit sich gebracht hat. Marcel Luthe hat bei der Staatsschützerin Jutta Porzucek „absolute Uneinsichtigkeit“ festgestellt, trotz ihrer Worte des Bedauerns.

Und Luthe meint (mit der gesamten FDP-Fraktion), dass ein weiterer Untersuchungsausschuss klären müsste, was (unter welcher politischen Leitung) in den Sicherheitsbehörden alles falsch gelaufen und falsch entschieden worden ist: von den gesundheitsgefährdenden Schießständen über die Personalproblematik bis zu den Zuständen an der Polizeiakademie. Ein Ausschuss, der sich lohnen könnte. Schon damit die Bürokraten in der Polizei von den Nicht-Entscheidungspositionen in den Ruhestand gehen können.

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