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Der noch amtierende Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker

© Christian Hartmann / REUTERS

An der Spitze der EU-Kommission: Europa - ein Spiel mit fünf Assen

Wer nur auf die Nachfolge des Kommissionspräsidenten schaut, hat gerade mal 20 Prozent der EU-Führungspositionen im Blick. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Gerd Appenzeller

Nein, die Lage ist nicht zum Verzweifeln. Dass sich der Europäische Rat, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, bislang nicht auf einen Vorschlag für das Amt der Präsidentin oder des Präsidenten der Europäische Kommission geeinigt hat, ist völlig normal. Weder Deutschlands noch Frankreichs Regierungen – auch nicht beide gemeinsam – könnten da die Richtung vorgeben. Dafür sind die Interessen der Nationen zu divers. Und im Europäischen Parlament müssen ebenfalls mehr Kompromisse gesucht werden, seit die Europäischen Volksparteien und die Sozialdemokraten zusammen keine Mehrheit mehr haben.

Gerade das hat ja die Position Emmanuel Macrons so stark gemacht. Die seiner Partei zuzurechnenden Parlamentarier, sehen sich bei den Liberalen. Dem Präsidenten gefällt diese Zuordnung, entspricht sie doch seinem Streben nach einer eigenständigen französischen Machtposition auf der europäischen Bühne, die weder von Konservativen noch von Sozialdemokraten abhängig ist. Dass er, dem es gelang, die Gelbwestenproteste einzufangen, vielleicht im Zenith der Macht steht, seine europäische Kontrahentin Angela Merkel hingegen auf einer absteigenden Linie mühsam Balance zu wahren sucht, macht ihn zur attraktiven Führungsfigur auf der europäischen Bühne.

Daraus resultiert auch eine simple französische Rechnung: Unter den fünf Führungspositionen in der EU gibt es entweder einen Franzosen und einen Deutschen – oder keinen von beiden. Wer nämlich meint, es ginge nur um den Kommissionspräsidenten, hat gerade einmal 20 Prozent der relevanten Führungspositionen in der EU im Blick. Tatsächlich muss die Macht auf fünf Ämter so ausbalanciert werden, dass Große und Kleine, Nord- und Mittel- und Südeuropäer, Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sich im neuen Leitungsbereich wieder finden können. Es ist ein Spiel mit fünf Assen: Neben dem Kommissionspräsidenten sind das der Präsident des Europäischen Parlamentes, der Ratspräsident – bislang der Pole Donald Tusk - die Hohe Kommissarin für Außenpolitik und der Präsident der Europäischen Zentralbank.

Kommissionschef muss ernst genommen werden

Wer in der Bundesrepublik also nur auf die Person Manfred Weber fixiert ist, wie manche in CDU und CSU, verliert das Ganze aus dem Blick. Hinzu kommt: Webers Streben nach dem Amt des Kommissionspräsidenten hat aus Sicht vieler Staats- und Regierungschefs mindestens zwei Mängel. Der eine ist das Fehlen jeder exekutiven Erfahrung. Er war weder Chef einer nationalen Regierung noch Minister. Auf dieser Erfahrung zu beharren, ist keine Marotte der machtbewussten Ratsmitglieder: Der künftige Kommissionspräsident muss auf internationalen Konferenzen von seinen Gesprächspartnern etwa aus China, Japan, den USA oder Russland ernst genommen werden. Jean-Claude Juncker konnte erfolgreich mit Donald Trump über Handelssanktionen reden – Manfred Weber kann man sich nicht wirklich als Verhandler im Weißen Haus vorstellen.

Und dann ist da noch die CSU, Webers Partei. Bei den Südeuropäern – zu denen hier auch Frankreich gehört – ist sie wegen der von Christsozialen vertretenen, oft sehr „deutschen“ Positionen, ziemlich unbeliebt. Was auch nicht verborgen blieb: Manfred Weber steht für Europa zur Wahl, weil er letztes Jahr einem Führungsstreit in der CSU vor dem robusteren Markus Söder einsichtig nach Brüssel ausgewichen ist. Das weiß nicht nur Angela Merkel.

Rat muss Wahlergebnis nur "berücksichtigen"

Merkel kennt auch die Schwächen einer anderen geläufigen Argumentation: der bei der Europawahl erfolgreichste Spitzenkandidat müsse quasi automatisch von den Staats- und Regierungschefs dem Parlament als Kommissionspräsident vorgeschlagen werden. Im Vertrag von Lissabon heißt es aber lediglich, der Rat müsse das Wahlergebnis „berücksichtigen“. Hätte es bei der Wahl nicht nur 28 nationale Listen, sondern auch eine europäische gegeben – Macron schlug das vor, CDU/CSU lehnten es ab –, hätte man das Thema der Spitzenkandidatur wohl ernster nehmen müssen.

So aber bleibt nur die Diagnose, dass der Lissabon-Vertrag bewusst vom Europäischen Parlament und dem Rat der Staats- und Regierungschefs eine Abstimmung ihrer Interessen fordert. Keiner kann ohne den anderen. Das Parlament zwingt ohnedies niemand zu einem bestimmten Votum. Man darf dies durchaus als Zwei-Kammer-System betrachten, das nur auf der Basis von Kompromissen funktioniert. Wer das ändern will, muss echte Europa-Wahlen fordern, mit supra-nationalen Listen. So weit ist Europa noch nicht.

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