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Abgeräumt: Die SPD ist in Hamburg trotz Stimmenverlusten stärkste Partei geblieben.

© Christian Charisius/dpa

Analyse der Hamburg-Wahl: Die SPD lebt von ihrer Vergangenheit

Und die hat Bürgermeister Peter Tschentscher bestens verkörpert. Unter jüngeren Wählern werden die Sozialdemokraten jedoch von Grünen und Linken stark bedrängt.

Hamburg war immer eine Hochburg der SPD. Doch war die Hansestadt immer auch die Hochburg einer SPD, die im Anzug daherkam und nicht im Blaumann. Eine Sozialdemokratie, die sich ein bisschen bürgerlicher zu geben pflegte, also auch etwas konservativ, pragmatisch, unaufgeregt. In einer immens reichen Stadt, die jedenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch größere wirtschaftliche Probleme bis in die Arbeiterschaft hinein erlebte, wurde sie so zur dominierenden Kraft. Fast alle ihre Bürgermeister seit 1946, von Max Brauer über Herbert Weichmann, Hans-Ulrich Klose und Klaus von Dohnanyi bis hin zu Henning Voscherau, waren vom selben Typ: seriös wirkende, immer ein bisschen präsidial auftretende Gestalten, welche die Arbeiterschaft beeindruckten, weil sie mit Wirtschaftsführern "auf Augenhöhe" agierten. Auch Helmut Schmidt hat die hanseatische Sozialdemokratie wirkungsvoll verkörpert. Der eine Ausrutscher hieß Ortwin Runde, ein netter Parteilinker, dessen Wahlniederlage 2001 die Ära des CDU-Politikers Ole von Beust beginnen ließ. Beust wiederum hätte problemlos in die Riege der sozialdemokratischen Vorgänger eingereiht werden können. Als Olaf Scholz 2011 die Stadt für die SPD zurückeroberte, tat er das als Fortsetzer einer unterbrochenen Tradition.

Kein echter Richtungswettstreit

Insofern konnte Peter Tschentscher, Bürgermeister seit 2018, wenig falsch machen, als er im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl am Sonntag genau diese Linie fortsetzte. Der 54-jährige frühere Arzt, zuvor Finanzsenator, war der entscheidende Faktor für den Wahlsieg der Sozialdemokraten am Sonntag, fasst man die Erkenntnisse der Forschungsgruppe Wahlen und von Infratest dimap zusammen. Seine Zustimmungswerte sind ausgezeichnet: Zwei Drittel der Hamburger sind mit ihm zufrieden, 57 Prozent wollten ihn als Bürgermeister weiter im Amt sehen. Was ihm half: Seine Hauptgegnerin Katharina Fegebank von den Grünen stand wie er für die Fortsetzung des rot-grünen Senats, und so war die personelle Konfrontation, die den Wahlkampf bestimmte, von vornherein kein echter Richtungswettstreit. Die Hamburger erlebten weder eine parteipolitische noch eine thematische Polarisierung. Tschentscher konnte einfach nur warten, bis die Wähler wieder zur SPD wanderten. Ein bisschen musste er allerdings zittern, weil das erst in den zwei, drei Wochen vor der Wahl erkennbar wurde.

Mehr als die Hälfte der Stimmen von Alten

Doch die Sozialdemokraten leben in Hamburg von ihrer Vergangenheit. Und das heißt: Sie leben von den Alten. 55 Prozent derer, die älter als 60 Jahre sind, stimmten für Tschentscher und seine Partei. Auch in der Gruppe der Wähler zwischen 45 und 59 Jahren liegt die SPD vorn, aber nur noch mit 38 Prozent. Bei denen zwischen 16 und 44 haben die Grünen mit einem Drittel die Nase vorn, dort sind auch die Linken mit etwa zwölf Prozent ziemlich stark. Grün-Links hat bei den ganz jungen Wählern bis 29 Jahre eine Regierungsmehrheit. Da ginge es rein rechnerisch schon ohne die SPD.

Grüne und Linke konnten am Sonntag zulegen – sie allein profitierten eindeutig von der höheren Wahlbeteiligung und konnten mehr Stimmen sammeln als 2015. Die Grünen vermehrten die Zahl ihrer Landeslistenstimmen um gewaltige 122 Prozent, bei den Linken macht der Zuwachs immerhin etwa zwanzig Prozent aus. Die SPD dagegen verlor, trotz des Wahlsiegs, Stimmen – 56000 waren es weniger als vor fünf Jahren. Tschentscher und seiner Partei gelang es, den eigenen Anhang zur Wahl hin noch zu mobilisieren. Darüber hinaus aber ging nichts mehr. Und das, obwohl – wie die Forschungsgruppe Wahlen schreibt – in keinem Bundesland eine Partei eine höhere Reputation hat als die Hamburger SPD.

CDU hat wenig zu melden - auch das hat Tradition

Zu diesem Renommee hat immer schon beigetragen, dass auf der anderen Seite die CDU in der Hansestadt selten einen wirklich guten Ruf genoss und dort traditionell schwach ist. Das konnte auch der Spitzenkandidat Marcus Weinberg nicht ändern, der angesichts des Binnenduells in der Mitte zwischen Tschentscher und Fegebank wenig zu melden hatte. Auch die CDU lebt vor allem von älteren Wählern. Wirtschaftspolitisch kann sie sich nicht profilieren, wie auch die FDP, denn die traditionelle Allianz des Hamburger Wirtschaftsbürgertums mit den Sozialdemokraten ist ein Machtfaktor eigener Art in der Hansestadt. Die Berichte im Wahlkampf, dass die Hamburger Finanzverwaltung (ihr Chef hieß lange Tschentscher) der traditionsreichen Warburg-Bank im Zusammenhang mit dubiosen Geschäften mit Aktiendividenden („Cum-ex-Skandal“) entgegengekommen sei, beeinflussten SPD-Anhänger so gut wie gar nicht. Auch Grünen-Wähler schauten übrigens nicht sehr darauf.

Thüringen spielt keine Rolle - außer bei der FDP

Die Ereignisse in Thüringen waren zudem allenfalls für die FDP wahlentscheidend: Immerhin jeder fünfte Wähler der FDP von 2015 gab an, seine Wahlentscheidung am Sonntag sei dadurch beeinflusst worden. Allerdings sind solche Nachwahlbefragungen in der Anhängerschaft von Kleinparteien immer mit etwas Vorsicht zu genießen.

Dass die AfD in Hamburg weitaus schlechter abschneidet als im Bundesschnitt, liegt am „Schmuddel-Image“ der Partei, das in Hamburg stark ausgeprägt ist. 88 Prozent der Bürger sehen laut Politbarometer rechtsextremes Gedankengut in der AfD weit verbreitet. Was hinzukommt: Die Wirtschaftslage in Hamburg ist so gut, dass bei allen Problemen vor allem auf dem Wohnungsmarkt insgesamt für eine Protestpartei wenig Potenzial vorhanden ist. Und gerade bei den Themen Wohnen und soziale Probleme allgemein ist es die Linkspartei, die punkten kann und Profil als Großstadtpartei für die Schwächeren (und hier vor allem unter den Jüngeren) gewinnt.

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