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Die Exit-Strategie: "Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht", sagt Verteidigungsminister Guttenberg zum Ende seiner Rücktrittserklärung. Ein klares Schuldeingeständnis beinhaltet seine kurze Ansprache nicht.

© dapd

Analyse eines Rücktritts: Guttenberg: Mit Fehl und ohne Tadel

Noch einmal entwirft er das Bild des Aufrechten mit kleinen menschlichen Schwächen. Einer, der sich den zerstörerischen Mechanismen der Medienwelt zum Opfer bringt. Doch Guttenberg stürzt über die Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit.

Von Robert Birnbaum

Ein roter Teppich, und dann ausgerechnet dieser! Über so viele rote Teppiche ist Karl-Theodor zu Guttenberg in seinen zwei Jahren als Bundesminister geschritten, richtige aus Wolle und Garn und all die unsichtbaren, die seine Verehrer vor ihm hingebreitet haben in den Sälen und Hallen der Republik. Der Teppich, auf den er jetzt gleich zueilen wird, wirkt aus der Nähe wie ein abstraktes Bild. Erst wer in der dämmerigen Säulenhalle im Bendlerblock zwei, drei Stockwerke höher steigt, erkennt aus dem Abstand das Motiv: eine Luftaufnahme des zerstörten Berlin 1945.

„Meine Damen und Herren“, dröhnt eine grimmige Stimme, die dem Presseoffizier Christian Dienst gehört, „der Minister!“ Am oberen Absatz der Freitreppe, die auf den Teppich führt, erscheint eine straffe Gestalt und federt die Stufen hinab. Und wenn er nicht ein bisschen blasser wäre als sonst und die Mundwinkel nicht etwas starrer, könnte man glauben, dass der Kapitän zur See Dienst sogar noch Recht behält.

Aber Guttenberg ist am Ende. Dienstagvormittag steht Angela Merkel in einer Messehalle in Hannover. Die Cebit ist die größte Computermesse der Welt, die Kanzlerin soll sie eröffnen. Ihre Forschungsministerin Annette Schavan steht neben ihr, rechts lacht Rainer Brüderle sein konjunkturbeförderndes Wirtschaftsministerlachen. Plötzlich zeigt Merkels Handy eine SMS-Botschaft an. Die Kanzlerin lugt nach unten, verzieht den Mund, zeigt Schavan die Botschaft im Display. Danach verschwindet sie von der Bühne. Das Telefonat dauert zehn Minuten. Gut vorstellbar, dass Merkel damit gerechnet hat, irgendwann. Vom Zeitpunkt wird sie überrascht. Als sie zurückkommt, ist die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende ein großes Problem los und hat ein ungefähr genauso großes am Hals.

Er habe der Frau Bundeskanzlerin in einem „sehr freundschaftlichen Gespräch“ seinen Rückzug von allen politischen Ämtern mitgeteilt und um die Entlassung gebeten, sagt Guttenberg nur wenig später. „Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens.“ Der Schmerz wird in den nächsten Minuten noch öfter vorkommen, dazu die „Verantwortung für ein forderndes Amt“, das Bedauern über „Fehler und Versäumnisse“ in seiner Doktorarbeit. Am Abend kündigt er an, auch sein Bundestagsmandat abgeben zu wollen.

Doch je länger er den vorbereiteten Text abliest, desto deutlicher entwirft da einer von sich selbst noch einmal, noch zuletzt das Bildnis des Aufrechten mit kleinen menschlichen Schwächen, der sich den zerstörerischen Mechanismen einer finsteren Medienwelt edelmütig zum Opfer bringt. Einer Medienwelt, die einer „fehlerhaften Doktorarbeit“ mehr Aufmerksamkeit widme als drei toten Soldaten in Afghanistan. „Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen soll“, sagt Guttenberg, „kann ich dies nicht mehr verantworten.“ Das Amt, die Bundeswehr, die Wissenschaft und die ihn tragenden Parteien drohten Schaden zu nehmen. Deshalb „die Konsequenz, die ich auch von anderen verlangt habe und verlangt hätte“.

Wenn man das Pathos abzieht, kommt da immerhin eine Wahrheit heraus: Der Fall Guttenberg fing mittlerweile an, für die Union mindestens so viel Schaden anzurichten, wie seine Popularität Nutzen versprach. „Ein Dilemma“, sagt einer aus der Unionsspitze. Es gibt die Bürger, die in Guttenberg nach wie vor den ersten Aufrechten in der Politik seit Ludwig dem Heiligen sehen; und es gibt andere, die hellauf empört sind über einen Mann, den ein Bayreuther Juraprofessor ungestraft Betrüger nennen durfte. Beide wählen CDU. Oder soll man, mit Blick auf Baden-Württemberg zum Beispiel, nicht besser jetzt schon sagen: wählten?

Als die Plagiatsaffäre Guttenberg vor zwei Wochen aufkam, gab es in der Union noch die einhellige Parole: Der Mann ist zu populär, als dass wir ihn fallen lassen dürften. Die Parole gilt im Kern ja sogar bis heute. „Schweren Herzens“, versichert Merkel am frühen Nachmittag zurück im Kanzleramt, habe sie die „persönliche Entscheidung“ Guttenbergs akzeptiert. Das mit der „persönlichen Entscheidung“ ist wichtig. Eine CDU-Chefin, die den Immer-Noch-Publikumsliebling entlässt, wäre ihrer Zukunft nicht mehr sicher. Die Angst vor der Rache des Volkes ist so groß gewesen, dass Merkel höchstpersönlich die Aufspaltung Guttenbergs in den schlechten Wissenschaftler und den guten Politiker eingeführt hat. Man wüsste gerne, was der Professor Doktor Joachim Sauer morgens am Frühstückstisch der Frau Doktor Merkel gesagt hat über die Einstufung des Betrugs in der Wissenschaft als Nebensache. Als ob es nicht im einen wie im anderen Fall um die Charakterfrage gegangen wäre.

Diesbezüglich ist festzuhalten: Was nicht vorkommt in dieser Rücktrittserklärung, ist ein klares Eingeständnis konkreter Schuld. Gewiss, Guttenberg verspricht, sich an der Aufklärung seiner Universität Bayreuth zu beteiligen. Gewiss, Karl-Theodor zu Guttenberg bekundet „Respekt“ vor allen, die Strafanzeige gegen ihn gestellt haben, ja er bittet sogar um zügige Ermittlungen. Aber was er denn nun außer ominösen „Fehlern“ angerichtet hat, darauf zu antworten meidet er sorgsam. Er weiß genau, warum. Neulich hat das Verwaltungsgericht Regensburg einen Doktoranden, der seine Arbeit nicht annähernd so umfassend mit fremdem Gedankengut aufgepeppt hatte, zu 90 Tagessätzen verurteilt. Das Geld haben sie in der Familie zu Guttenberg. Aber der Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis ist so hässlich wie dauerhaft. Er behindert doch sehr jeden Wiederaufstieg aus der Asche.

Was ihn übrigens wirklich dazu gebracht hat, nach all den taktischen Ausflüchten und taktischen Gegenangriffen jetzt doch hinzuwerfen, darüber gibt es eine plausible Vermutung und eine sehr unschöne Theorie.

Guttenberg selbst behauptet, der späte Zeitpunkt sei dem „Anstand“ geschuldet: Er habe erst noch die drei gefallenen Soldaten in Würde zu Grabe tragen und einem Nachfolger die Bundeswehrreform fertig hinterlassen wollen: „Das Konzept der Reform steht.“

Man kann das, wie so vieles vorher, glauben oder nicht. Sein eigener Parteichef glaubt es offenkundig nicht: Noch am Montagabend, berichtet Horst Seehofer, sei Guttenberg zum Bleiben fest entschlossen gewesen. Damit kommt die unschöne Theorie ins Spiel. Sie stützt sich auf das Indiz, dass Guttenberg selbst dem Thema „Staatsanwaltschaft“ ungefragt breiten Raum in seiner Erklärung einräumt. „Der hat gewusst, dass die Staatsanwaltschaft in Hof gegen ihn ermitteln will“, glaubt ein Unionsvertreter. Das Ende wäre über ihn hereingebrochen – Aufhebung der Immunität als Abgeordneter, Ermittlungsverfahren, Strafantrag.

Vielleicht war aber gar kein Tipp aus Hof mehr nötig. Es ist zuletzt immer enger geworden für den Mann, der zwei Jahre lang das Publikum entzückt und die Politikwelt in Atem gehalten hat, die Medienwelt inbegriffen. Ein 39-Jähriger von Adel, ohne Fehl und Tadel, scheinbar schnurstracks auf dem Weg ins Kanzleramt, schmucke Gattin inbegriffen; einer, dem die Säle schon zujubeln, bevor er den Mund aufgemacht hat, ein Leutefänger, für den die Gesetze der Politik nicht zu gelten schienen – die Geschichte hat sich ja auch zu süffig erzählt.

Umso verheerender der Absturz. Erst sind es nur die Alten aus der CDU gewesen, Wolfgang Böhmer und Bernhard Vogel, die bedenklich die Köpfe geschüttelt haben, oder der Bundestagspräsident Norbert Lammert, der für gelegentliche Widerworte bekannt ist. Doch dann hat sich die Wissenschaft erhoben; spät, dafür um so deutlicher. Die Wissenschaft ist eine Welt, von der die meisten Menschen nichts verstehen. Aber sie ist geachtet. Und sie entzieht sich dem üblichen Schema der Politik, der Freund-Feind- Welt der Parteien. Das Wort „Kampagne“, mit dem Guttenbergs politische Freunde ihn anfangs zu retten versuchten, ist lange nicht mehr gefallen. Tausende Wissenschaftler, die Protest erheben, sind keine Kampagne, sondern eine sehr, sehr ernste Sache.

Wissenschaftsministerin Schavan sah sich genötigt, sich für Guttenbergs Doktoreien zu „schämen“. Ein starkes Wort. Doch es drückt aus, was viele in CDU, selbst CSU heimlich empfanden. Dass Guttenberg sie für seine Untaten in Mithaftung genommen hat, schuf Berge von stiller Wut.

Schavan hat auch schon öfter Dinge ausgesprochen, die Merkel nicht sagen konnte. Obendrein kommt sie aus Baden-Württemberg. Sie ist sozusagen das Dilemma in Person. Guttenberg halten, obwohl zuletzt sogar der Doktorvater Peter Häberle enttäuscht bekannte, dass er sich in seinem Doktoranden getäuscht hat – Guttenberg also halten um den Preis, wichtige Meinungsträger zu verlieren und die Ehre einer Partei dazu, die doch Anstand, Fairness und Ehrlichkeit als Werte hochhält? Oder den Mann verlieren auf das Risiko hin, dass sich die abwenden, die Guttenberg noch im Sturz für sich reklamieren? „Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung“, sagt er.

Die Drohung mit dem Volkszorn tut ihre Wirkung. Dass man einem Zurückgetretenen nicht hinterhertritt, gehört zum Brauch. Dass alle so tun, als gehe der Gestürzte bloß in Kur und komme wenig später wieder, ist ungewöhnlich. Einige glauben das sogar wirklich, besonders unter den Jungen und ganz besonders in der CSU. Guttenberg war ein sehr konkreter Hoffnungsträger, das Versprechen einer guten Zukunft für eine gebeutelte Partei. „Er bleibt einer von uns“, versichert Horst Seehofer. Nur – jetzt ist erst mal wieder er die Zukunft der Partei und nicht dieser fränkische Baron, der ihm auf der Nase herumgetanzt ist. „Wir haben es im Kabinett erfahren und waren alle geschockt“, sagt Markus Söder. Der bayerische Umweltminister hat ebenfalls wieder deutlich mehr Zukunft.

Selbst Guido Westerwelle verkneift sich jeden Triumph. Der Außenminister hätte Grund dazu – der Guttenberg der besseren Tage hat sich Westerwelle oft zum Opfer lustvoll inszenierter Widerworte genommen. Als die ersten Meldungen vom Rücktritt durch den Äther jagen – „Bild“ verbreitet sie, vielleicht der letzte Dienst des Mannes, der sich an das Boulevardblatt gekettet hatte wie keiner vor ihm – sitzt Westerwelle in einer Journalistenrunde und berichtet vertraulich über die brenzlige Lage in Nordafrika. Um 10:41 Uhr geht die Tür auf, Büroleiter Thomas Bagger reicht einen Zettel. Der Vizekanzler weiß es schon, von Merkel. Er redet erst mal weiter über Muammar al Gaddafi. Später wird er bei Guttenberg eine „Entscheidung der Konsequenz“ ausmachen, die aber auch eine menschliche Dimension habe.

Angela Merkel schließt sich dem Traum von der Rückkehr des Gefallenen auf merkelsche Art an, also listig. Sie habe gerade mit Guttenberg persönlich gesprochen. Das werde gewiss nicht das letzte persönliche Gespräch mit ihm gewesen sein – „in welcher Form auch immer“. Ein Versprechen auf Hilfe bei der Rückkehr klingt anders. „’Reich und Schön’ entfällt“, hat das ZDF seine Zuschauer wissen lassen, als es das Programm für den Rücktritt unterbrach. Von einer späteren Wiederholung stand auch dort nichts.

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