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Die Preise für Agrarrohstoffe explodieren.

© dpa

Analyse: G20 versagen beim Kampf gegen den Hunger

Die G20-Staaten müssen Maßnahmen gegen hohe Agrarpreise koordiniert umsetzen, meint Bettina Rudloff. Die angekündigte Telefonkonferenz ändert nichts, wenn weiter die kurzfristigen Interessen der großen Agrarexporteure dominieren.

In der drohenden Nahrungskrise kommt den G20-Staaten eine besondere Verantwortung zu, sind sie doch ein Schwergewicht auf den internationalen Agrarmärkten. Agrarpolitische Maßnahmen aus dieser Gruppe heraus sind unmittelbar preiswirksam und somit entscheidend für den Verlauf der Krise. In der jüngsten Vergangenheit haben die G20 bereits vielversprechende Konzepte zur Bekämpfung von Preisschwankungen und Versorgungskrisen initiiert. Sie scheitern bislang an einer wirksamen Koordinierung. Eine Telefonkonferenz Ende August soll es nun richten.

Die Dürre in den USA und die Trockenheit in Indien, Russland und der Ukraine treiben derzeit die Preise für Mais, Weizen, Soja und Reis in die Höhe. Bereits 2008 gab es eine vergleichbare Situation, ebenso erst im letzten Jahr. Damals stellte die Food and Agricultural Organization of the United Nations (FAO) das höchste Preisniveau seit dessen regelmäßiger Erhebung fest. Eine Milliarde hungernder Menschen waren die Folge.

Es werden immer weniger Überschüsse erwirtschaftet

Beinahe jährlich, so scheint es, erwischen uns die Preishochs hinterrücks. Dabei zeigt sich schon länger, dass das Risiko solcher Höhenflüge in Zukunft noch steigen könnte: Während die Nachfrage durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie durch die energetische Verwendung von Agrarrohstoffen steigt, hinkt die Produktion aufgrund des schleppenden technischen Fortschritts hinterher. Damit sinken Überschüsse. Kommt es in dieser Lage zu einem unerwarteten Angebotsausfall etwa durch Dürren, so kann dieser Ausfall nicht mehr durch schnell in den Markt gebrachte Überschüsse aufgefangen werden. In der Folge steigen die Preise. Das Wissen um die Überschusssituation oder auch nur Vermutungen darüber unterstützen zudem spekulative Anlagen an den Börsen. Diese lösen kurzfristige Preispeaks nicht unbedingt aus, können diese aber verstärken.

Die Maßnahmen, die es braucht, um Preisspitzen unwahrscheinlicher werden oder weniger drastisch ausfallen zu lassen, sind bekannt. Es fehlt jedoch an einer koordinierten Reaktion. So können einzelne G20-Mitglieder, etwa durch Exportverbote, jeden Ansatz zur Preissenkung konterkarrieren.

Unter französischer Präsidentschaft haben die G20 im letzten Jahr nun eine Art faktenbasiertes Frühwarnsystem definiert, das solch eine koordinierte Politik unterstützen soll: durch das Agricultural Market Information Systems (AMIS) sollen Marktinformationen im Rapid Response Forum, einem neu gegründeten politischen Gremium, von nun an regelmäßig ausgetauscht und ausgewertet werden.

Hunger bleibt ein Problem der Anderen

Ansätze zur Risikoschätzung und Frühwarnung haben eine lange Tradition gerade im Agrarsektor: es existiert eine Vielzahl sehr umfangreicher Systeme auf Ebene der FAO und auch vieler großer Agrarstaaten wie EU und USA, die globale Märkte und Preise beobachten und damit Preise vorherzusagen versuchen. Auch Aussagen über in Zukunft hungeranfällige Staaten werden regelmäßig von FAO oder dem Welternährungsprogramm WFP getroffen, unter anderem zur Planung von Nahrungshilfen. Das AMIS nun soll die vielen bestehenden Systeme koordinieren und damit eine Basis für ein koordiniertes Krisenmanagement schaffen.

Konzepte für ein koordiniertes Risiko- bzw. Krisenmanagement entwickeln sich langsam. Bislang wurde eher auf nationale Krisenmanagementansätze für die Abwehr eigener Versorgungsengpässe gesetzt, die international durch die FAO unterstützt werden. Im Rapid Response Forum sollen eben diese nationalen Ansätze nun stärker koordiniert werden. Mitglieder sind erfahrene Beamte aus den G20-Staaten, die mit dem Committee on World Food Security zusammenarbeiten sollen. Genau dieser Ausschuss aber wurde erst im Jahr 2009 reformiert, um selber eine Koordinierung nationaler Politiken zu ermöglichen. Er umfasst Mitglieder auch aus Entwicklungsländern, verschiedene UN-Organisationen, Weltbank, IWF und WTO. Aus der EU ist nur Frankreich vertreten. Forschungseinrichtungen und Stakeholder sind als Berater angegliedert.

Nur konkrete Maßnahmen können das Versprechen des Rapid Response Forums einlösen

Die hektischen Neugründungen unterschiedlicher Koordinierungsgruppen offenbaren vor allem Eines: wie schwierig eine globale oder wenigstens internationale Koordinierung bei einem Thema ist, das die einzelnen souveränen Staaten in ganz unterschiedlicher Weise betrifft. Gerade große Agrarexporteure, wie in den G20 vertreten, profitieren kurzfristig ja von Preisspitzen. Woher sollte ihr Interesse kommen, diese abzufangen?

Ein Beispiel für eine schon länger etablierte internationale Krisenkoordination sind die Seuchen-Warnstufen der WHO gegen internationale Pandemien. Je nach Bedrohungslage werden weltweit dieselben nationalen Reaktionen ausgelöst. Auch wenn über die korrekte Einstufung von Krisensituationen gestritten wird, ist dies ein sehr klar zu kommunizierendes und verständliches Konzept, wie es auch für die Welternährung wünschenswert wäre.

Anders als bei Seuchen aber ist Hunger weiterhin ein Problem der Anderen. Damit sich dies ändert, müssen die politischen Entscheidungsträger der G20 erkennen, dass ihre eigene Betroffenheit zunimmt: wegen der Veränderungen auf den Agrarmärkten werden Hungerkrisen wahrscheinlicher. In der Folge könnten vermehrt unvorhersehbare, teure Hilfezahlungen auf die Staaten zukommen. Unruhen und politische Destabilisierung wie zuletzt in Nordafrika könnten weiter zunehmen. Und schließlich belasten steigende Nahrungspreise auch die reicheren Länder selber, wenn deren Wirtschafts- und Einkommenslage geschwächt ist. Wenn also der internationale Charakter von Hunger wahrgenommen wird, dann steigt das Eigeninteresse an einer vorausschauenden Koordination.

Es ist nun an den G20, die Tragweite der Lage zu erkennen und Verantwortung zu übernehmen. Mit Telefonieren allein ist es allerdings nicht getan. Stattdessen müssen die Mitglieder der Gruppe nun selbstkritisch und koordiniert die ganze Palette an preisriskanten Maßnahmen angehen: Die EU und die USA müssen endlich ihre Agrarkraftstoffförderung aufgeben, Argentinien und Russland dürfen in Zeiten steigender Preise keine Exportverbote mehr verhängen. Nur so kann das Versprechen des neuen Rapid Response Forums eingelöst werden.

Bettina Rudloff forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu internationalen Agrarmärkten und Entwicklungsländern. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Bettina Rudloff

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