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Andrea Nahles.

© dpa

Andrea Nahles: "Die Grünen werden nicht stärker als wir"

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles spricht im Tagesspiegel-Interview über den Wahlkampf in Berlin, die Integrationsdebatte und das Menschenbild von Thilo Sarrazin.

Frau Nahles, können wir kurz über Heinz Buschkowsky reden, bevor wir auf Thilo Sarrazin kommen?

Was hat der aufrechte Bezirksbürgermeister von Neukölln mit einem abgedrehten Bundesbanker zu tun?

Heinz Buschkowsky warnt seit Jahren davor, die Integrationsprobleme schönzureden. Wie kommt es, dass die SPD davon jahrelang nichts wissen wollte?
Das ist Unsinn. Die SPD hat nie einer Multi-Kulti-Romantik nachgehangen. Wir haben das Zuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Darin wurden zum ersten Mal flächendeckend Pflichtkurse Deutsch für Einwanderer festgeschrieben, Sanktionen inklusive! Für die Integrationspolitik unseres Innenministers Otto Schily wurden wir jahrelang gescholten.

Dass wir das noch erleben dürfen: Andrea Nahles beruft sich auf Otto Schily.
Damals wurde uns vorgeworfen, wir seien zu konsequent und zu hart. Jetzt wird uns vorgeworfen, wir ignorierten Integrationsprobleme. Die Grundhaltung des Zuwanderungsgesetzes heißt: Wir verbessern die Rahmenbedingungen, damit Einwanderung gelingen kann. Aber wir erwarten von den Zuwanderern aller Generationen die Bereitschaft, sich auf Deutschland einzulassen. Das heißt: Deutsch lernen! Das heißt: An unserer Gesellschaft teilhaben!

Was hat dann die Berliner SPD gehindert, Buschkowsky ernst zu nehmen?
Nicht nur die SPD kann was von Heinz Buschkowsky lernen, sondern wir alle: Man muss in aller Härte die Probleme der Integration aussprechen. Das schmerzt. Aber eines muss immer klar sein: Wir haben ein Herz für die Menschen. Deshalb ist Buschkowsky ein Sozialdemokrat. Unbequem, manchmal anstrengend, aber einer von uns, denn er engagiert sich für die Menschen und bemisst sie nicht nach ihrem ökonomischen Nutzwert. Das ist der Unterschied zu Sarrazin.

Noch mal: Warum stand Buschkowsky in Berlin so lange im sozialdemokratischen Abseits?
Buschkowsky ist wahrlich nicht der Einzige, der sich in Berlin für Integration einsetzt. Ich nenne nur mal Klaus Wowereit und Kenan Kolat, aber auch viele andere Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich seit Jahren engagieren. Die Bundes-SPD und die Berliner SPD sind überzeugt, dass Integration in erster Linie eine bildungspolitische Herausforderung darstellt.

Herausforderung, das sagen Politiker immer, wenn sie keine Antwort haben.
Wir haben Antworten. Berlin und mein Heimatland Rheinland-Pfalz haben sich zum Beispiel entschieden, Kitas kostenfrei zu machen und Sprachtests in der Vorschule einzuführen. Auch für Eltern gibt es Weiterbildungs- und Sprachförderangebote, denn wir haben beobachtet, dass es besser funktioniert, wenn man sie einbindet. Wo die SPD regiert, wird nicht nur über Integration gesprochen, sie wird auch konkret unterstützt.

In der Debatte um Sarrazins Thesen zur Zuwanderung gibt es ein interessantes Phänomen: Die politische Elite ist sich einig in ihrer Empörung, doch viele Menschen geben ihm recht. Hat die Politik den Kontakt zum Volk verloren?
Wenn es um das Thema Migration geht, ist es immer leicht, sich als vermeintlicher Tabubrecher zu inszenieren. Thilo Sarrazin verfährt nach einer billigen Methode. Er schürt Überfremdungsangst, um sich dann in der Rolle des einsamen Warners zu sonnen.

Beunruhigt Sie die Kluft zwischen Politik und Volk nicht?
Es gäbe tatsächlich eine echte Kluft, wenn wir die Dinge beschönigen würden. Ich habe Verständnis für die Ängste der Menschen. Aber wir sollten einen klaren Blick behalten: Wir haben in der Integrationspolitik viele Erfolge erreicht. Und manches liegt noch im Argen.

Was?
Auch in der dritten Einwanderer-Generation gibt es noch Sprachprobleme. Eine Minderheit verweigert sich der Integration. Wer das ausspricht, ist nicht fremdenfeindlich. Und die SPD hat diese Probleme auch nicht verschwiegen.

Wie erklären Sie sich die Zustimmung für Sarrazin an der SPD-Basis?
Seine Thesen sind für manche so etwas wie ein Blitzableiter für Spannungen, die sie im Zusammenleben mit Migranten erleben und aushalten. Ich mache niemandem etwas vor: In der SPD gibt es Ängste und die nehmen wir ernst. Verantwortliche Politik darf aber nicht hetzen, sondern sie muss das Spaltende überwinden und die Probleme anpacken. Das heißt mitnichten, dass die SPD die Probleme negiert. Multikulti-Schwärmerei ist nicht unser Ding, dafür sind andere zuständig.

Sie meinen die Grünen?
Viele Migranten fühlen sich durch die Grünen gut vertreten. Das sind dann allerdings eher diejenigen, die den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft haben. Deshalb neigen die Grünen dazu, die positiven Aspekte der Integration überzubetonen. Es gibt aber auch eine andere Realität, die weniger bequem ist. Dort treffen gering qualifizierte Migranten mit Sprachdefiziten und ohne Ausbildungsplatz auf Deutsche mit ähnlichen Problemen. Und für die Probleme dieser Menschen versucht die SPD Lösungen zu finden, das ist Teil unserer Tradition. Ich bin den Grünen freundschaftlich verbunden, aber trotzdem bleiben hier Unterschiede.

Was würde es für das Verhältnis zwischen SPD und Grünen bedeuten, wenn Grünen-Fraktionschefin Renate Künast den Anspruch erhebt, im kommenden Jahr Klaus Wowereit in Berlin abzulösen?
Dann wäre Frau Künast eine Konkurrentin, mit der wir in einen harten Wettstreit treten werden. Aber das ändert das Verhältnis der SPD zu den Grünen nicht grundsätzlich. Wir haben inhaltlich die größte Schnittmenge. Und wir könnten mit den Grünen im Bund die stabilste, verlässlichste und innovativste Regierung bilden, die momentan möglich ist.

Warum schließt die SPD in Berlin es eigentlich von vornherein aus, als Juniorpartner in eine Grün-Rote Koalition zu gehen?

Das ist eine virtuelle Debatte. Die Grünen werden nicht stärker als wir, weder in Berlin noch anderswo. Wir wollen, dass Klaus Wowereit gewinnt, dafür werden wir kämpfen. Wowereit ist das Gesicht dieser Stadt, mit ihm ist Berlin die coolste Stadt der Welt geworden! Fragen Sie einmal die vielen jungen Besucher aus Europa und der ganzen Welt, die jeden Tag in Berlin landen, was die von der Hauptstadt halten. Wenn man dann das Gemeckere und Gemosere hier in der Stadt hört, kann man sich nur wundern. Klaus Wowereit ist für Berlin ein Glücksfall.

Würde eine Niederlage in Berlin den Verfall der SPD als Volkspartei beschleunigen?
Die Grünen versuchen gerade, diese Diskussion anzuzetteln. Aber noch mal: Ich sehe keine Niederlage der SPD. Die Grünen wollen der SPD den Status der Volkspartei absprechen und gleichzeitig wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen die Idee, selbst Volkspartei zu werden. Dieses Spiel ist leicht zu durchschauen: Sie wollen numerisch stark werden, ohne sich die Mühe zu machen, Kompromisse zwischen den Interessen unterschiedlicher Milieus zu schmieden. Wer in Berlin ins Rote Rathaus ziehen will, muss aber Lösungen für die ganze Stadt und alle ihre Einwohner bieten. Da kneifen die Grünen. Überzeugend ist das nicht.

Noch einmal zurück zu Sarrazin. Kann er den Ausschluss aus der SPD abwenden, wenn er sich für besonders anstößige Aussagen wie für die über das angebliche jüdische Gen entschuldigt?
Auch eine nachgeschobene Entschuldigung wird das Parteiordnungsverfahren nicht aufhalten. Das Verfahren stellt sicher, dass er seine Rechte wahrnehmen und sich verteidigen oder erklären kann. Wenn er Äußerungen bedauert oder zurücknehmen will, hat er im Rahmen dieses Verfahrens dazu Gelegenheit. Selbstverständlich würde es berücksichtigt, wenn er von besonders strittigen Thesen abrückt. Auf der anderen Seite hat er die Debatte gezielt befeuert. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder kann seine Meinung vertreten. Thilo Sarrazin kann Bürger in nützliche und unnütze Menschen aufteilen und das zu einem unentrinnbaren Schicksal erklären. Aber unter dem Dach der SPD ist dafür kein Platz. Wir beurteilen Menschen nicht nach ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit. Für uns sind alle gleich viel wert. Gegen diese zentrale Überzeugung unserer Partei verstößt Thilo Sarrazin.

Die Fragen stellten Stephan Haselberger und Hans Monath.

ZUR PERSON

JUSO-CHEFIN

Andrea Nahles führte die Jusos von 1995 bis 1998. Den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder kritisierte sie als „Abrissbirne sozialdemokratischer Programmatik“.

AGENDA-KRITIKERIN

„Konzeptlos, perspektivlos, instinktlos“: Als Wortführerin der SPD-Linken machte Nahles Front gegen Schröders Agenda 2010.

GENERALSEKRETÄRIN

Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 teilten Nahles, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier die Macht in der SPD auf. Gabriel wurde Parteichef, Steinmeier Fraktionsvorsitzender, Nahles Generalsekretärin. In ihrer neuen Rolle wirkt die inzwischen 40-Jährige vor allem nach innen. Der große Auftritt bleibt oft Gabriel vorbehalten. Nahles ist seit kurzem verheiratet und erwartet ein Kind.

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