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Politik: „Angela Merkel hat ihr Wort gebrochen“

Andrea Nahles sieht das Vertrauen der SPD in die Führungsfähigkeit der Kanzlerin erschüttert

Frau Nahles, können Sie beim Koalitionskompromiss zur Gesundheitsreform die Handschrift der SPD noch erkennen?

Ja, es gibt eine Reihe von Ergebnissen, die unsere Handschrift tragen.

Welche denn?

Wir haben in den Verhandlungen erreicht, dass die Ärzte in Zukunft nach einem transparenten Verfahren und nicht mehr nach einem undurchsichtigen Punktesystem vergütet werden. Wir haben dafür gesorgt, dass in Zukunft alle in diesem Land versichert sein werden. Und wir haben massive Leistungskürzungen verhindert, welche die Union den Versicherten zumuten wollte. Das sind gute Erfolge.

Aber das zentrale Vorhaben, nämlich eine stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems, hat Ihre Partei nicht durchgesetzt.

Zu unserer großen Enttäuschung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel hier ihr Wort gebrochen. Wir haben uns darauf verlassen, dass Frau Merkel eine stärkere Steuerfinanzierung in der Union durchsetzt. Nun müssen wir erkennen, dass die Ministerpräsidenten von Bayern und Hessen, Stoiber und Koch, die Bundespolitik stärker bestimmen als die Kanzlerin. Das hat das Vertrauen der SPD in die Verhandlungstreue von Frau Merkel mehr als nur ein bisschen beeinträchtigt und das belastet auch das Klima in der Koalition. Man kann sich auf das Wort der Kanzlerin in einem wesentlichen Punkt offenbar nicht verlassen.

Und das sehen Vizekanzler Müntefering, Parteichef Beck und Fraktionschef Struck auch so?

Wenn ich unsere Spitze in den Gremien richtig verstanden habe, wenn auch in anderen Worten, ja.

Zurück zu den Verhandlungserfolgen oder -misserfolgen der SPD: CDU-Generalsekretär Pofalla freut sich jetzt darüber, dass es der Union gelungen ist, die kleine Kopfpauschale einzuführen. Wollte die SPD genau das nicht immer verhindern?

Die faktische Einführung einer kleinen Kopfpauschale ist für uns Sozialdemokraten in der Tat eine bittere Pille. Wir haben einer solchen Pauschale erst kürzlich im Parteirat eine klare Absage erteilt. Dazu kommt ein Gesundheitsfonds, in dem die Privaten Krankenversicherungen nicht einbezogen sind. Für mich persönlich sind das Knackpunkte, die die Glaubwürdigkeit meiner Partei berühren.

Sehen Sie eine Mehrheit in der SPD-Bundestagsfraktion für den Kompromiss?

Ich will darüber nicht spekulieren. Ich persönlich glaube, dass dieser Teil des Verhandlungsergebnisses in der SPD schwer zu vermitteln sein wird. Kopfpauschale und Gesundheitsfonds ohne nennenswerte Beteiligung der PKVen – das wird für viele in meiner Partei eine große Hürde darstellen. Aus meiner Sicht stehen wir am Anfang, nicht am Ende einer schwierigen Debatte in Partei und Öffentlichkeit.

Im Zuge der Unternehmenssteuereform soll die Wirtschaft dauerhaft um fünf Milliarden Euro jährlich entlastet werden, während die Bürger ab 2007 mit einer Erhöhung der Mehrwertssteuer und der Krankenkassenbeiträge belastet werden. Halten Sie das in der SPD für durchsetzbar?

Das stößt in der SPD ebenfalls auf Vorbehalte. Man kann den Bürgern nicht höhere Steuern und Abgaben zumuten und zugleich Geschenke an Unternehmen verteilen. Das können und wollen viele in der SPD nicht vertreten. Hier muss nachgebessert werden. Ausserdem erwarten wir vom Finanzminister eine klare Datenbasis als Entscheidungsgrundlage. Wir wollen wissen, ob es wirklich Grund zur Annahme gibt, dass Steuerentlastungen am Ende zu Mehreinnahmen für den Staat und zu mehr Arbeitsplätzen führen werden oder ob es sich dabei nicht nur um einen frommen Wunsch handelt.

Die Fragen stellte Stephan Haselberger.

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