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Angela Merkel am 29. Juni 2016 in Brüssel.

© dpa

Angela Merkel nach dem Brexit-Votum: Everybody’s Darling, das war einmal

Beim Brexit geht es ums Reagieren. Das ist eigentlich Angela Merkels Stärke. Trotzdem hat sie als Kanzlerin jetzt ihren Zenit erreicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Das war keine gute Woche für Angela Merkel. Natürlich werden das ihre Satrapen anders sehen, werden es zu erklären oder, besser, zu verklären versuchen. Aber die Fakten … Und das Gefühl … Das drückt sich so aus: Merkel hat als Bundeskanzlerin ihren Zenit erreicht. Wenn sie ihn nicht schon überschritten hat. Einerlei: Zenit bedeutet, dass nur noch der Abstieg kommen kann, höher hinaus geht es nicht. Und selbst wenn man sich den Zenit als Hochebene vorstellt – die endet ja auch.

So lange ist das noch gar nicht her, dass alle Welt dachte, Merkel sei unbesiegbar. Dass ihre Partei, die CDU, ihr zujubelte, welche inhaltliche Bastion sie auch immer aufgab. Auf ihrem Tun, so wirkte es auf die riesige Mehrheit der Christenunionisten, liegt Segen, denn sie weiß, was sie tut, und das tut uns gut. Prozentmäßig.

So ist sie nicht, so wird sie auch nicht mehr

Das denkt heute von denen selbst in ihrer Partei nur noch eine Minderheit, und von den Deutschen insgesamt auch nicht mehr unbedingt eine Mehrheit. Unbedingt – das Wort ist übrigens wichtig in diesem Zusammenhang. Die meisten, ob innerhalb oder außerhalb der Union, würden aus Gründen der Gewöhnung und Vertrautheit und weil ihre Zurückhaltung doch sympathisch ist, schon gern an ihr als Kanzlerin festhalten, wenn Merkel ihnen einen guten Grund dafür gäbe. Der allerdings wird, im Unterschied zu vergangenen Jahren, zunehmend zur Bedingung.

Dass sie selbst einen guten Grund nennen würde, ist bekanntermaßen nicht so ihre Sache. Denn die eigene Politik verständlich zu machen, die ungeheuren Kurs- und Richtungswechsel von ganz rechts bis fast ganz links und wie das alles zusammenpasst mit der Rest-Konservativität, die sich doch eigentlich mit der CDU (und, nicht zu vergessen, mit der bayerischen Schwester, der CSU) verbinden soll – das ist von Merkel nicht zu erwarten. Oder halt: Diese Erwartung, zum Kern alles Politischen vorzudringen, wird Merkel immer enttäuschen. So ist sie nicht, so wird sie auch nicht mehr: eine Politikerin, die wie weiland bei den alten Griechen mit Gründen leidenschaftlich darum wirbt, dass man ihr folgen möge.

Mit ihrer Stellung in Europa ist es ähnlich. Die Osteuropäer sind schon länger unzufrieden, namentlich mit Merkel hadern sie. Da sind die Ungarn, Tschechen, die Polen. Die Slowaken sagen es nur nicht so laut, die Kroaten auch nicht, allerdings haben die auch gerade andere, eigene Probleme.

Jetzt sind auch noch die Briten raus aus der EU, oder jedenfalls wollen sie, ein Schock – und David Cameron, immerhin ein politischer Freund, ein Pragmatiker, ein Konservativer, gibt Merkel sogar eine Mitschuld an seiner Niederlage daheim. Cameron macht ihre Flüchtlingspolitik nicht zuletzt mit für den Brexit verantwortlich. Dazu bricht beim Versuch, das Flüchtlingsthema zu beherrschen, auch noch die Türkei weg, das Land, auf das die Bundeskanzlerin voll und ganz gesetzt hat, und zu allem Überfluss flackert zwischendurch immer mal wieder die verdrängte, nicht gelöste Griechenlandkrise auf. Hier hatte Merkel jüngst großes Glück, dass ihr Finanzminister jeden neuen Funken erstickte, und zwar so schnell, dass es kaum einer mitbekam.

Warum sollte die Kanzlerin ins Risiko gehen?

Was inzwischen aber viele mitbekommen: Die Bundeskanzlerin wird fast immer reaktiv tätig, selten bis nie aktiv. In der Flüchtlingsfrage, aber auch nach dem verheerenden Atomunfall von Fukushima oder bei der Abschaffung der Wehrpflicht. Andere gehen voran, sie folgt. Ist abzusehen, dass eine Mehrheit diesen Kurs will – dann lässt die Kanzlerin sinngemäß erklären, wie gut es doch ist, dass Menschen verstehen, was sie für richtig hält. Und wohin sie eigentlich, recht bedacht, schon immer wollte. Daraus erwuchs mit der Zeit ein Missverständnis: dass sich Merkel und die Menschen immer verstehen.

Was die Bundeskanzlerin verstanden hat, ist etwas anderes. Am Beispiel, das ihr der Amtsvorgänger Gerhard Schröder gegeben hat, konnte sich Merkel ausrechnen, was es bedeutet, aktiv Politik zu machen: Am Ende kannst du gestürzt werden. Risiko! Denn die Gesellschaft zu gestalten, ist nicht kostenfrei zu haben. Siehe Agenda 2010. Die sichert Merkel bis heute die Macht, weil sie den Standort Deutschland gestärkt und zugleich die SPD als Lastträgerin der Reformen geschwächt hat.

Warum sollte die Kanzlerin Ähnliches wagen, ins Risiko gehen, wo doch in Europa alle anderen Staaten und Regierungschefs schlechter dastehen? Und auch in ihrer Union, nicht der europäischen, sondern der von CDU und CSU? Das ist der Rest ihrer Legitimation: Es ist keiner da, der ihr gefährlich werden könnte. Außer die Verhältnisse ändern sich. Was geschehen könnte: Wenn sich das Gefühl ausbreitet, dass innen- wie europapolitisch eine Lage entsteht, die sich nicht von selbst beherrscht.

Und hier kommt das Merkel-Paradox. Beim Brexit geht es ums Reagieren. Das ist eigentlich ihre Stärke. Vorausgesetzt, die Reaktion besteht nicht nur darin, den Ereignissen hinterherzulaufen. Denn dann sind sie nicht mehr einzuholen.

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