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Angela Merkel besucht das European Astronaut Centre (EAC) der European Space Agency (ESA) in Köln.

© dpa

Angela Merkel und die CDU: Die Kanzlerin der Missverständnisse

Wofür stehen sie nun eigentlich, die CDU und ihre Chefin? Die Antwort darauf entscheidet über ihre Zukunft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es ist dieser Tage in der Politik, der großen, ein Phänomen zu beobachten. Das Phänomen heißt: Missverständnis.

Wissenschaftlich ausgedrückt ist ein Missverständnis „eine kommunikative Störung, die aus dem Differenzwert zwischen dem Gemeinten eines Senders und dem Verstandenen beim Empfänger besteht“. Unaufgeklärte Missverständnisse wiederum können Konflikte auslösen; das gilt für persönliche Konflikte zwischen mindestens zwei Personen bis hin zu nationalen politischen Konflikten und (internationalen) zwischen Regierungen.

Was bedeutet: alles das findet gerade zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer statt, zwischen CDU und CSU und obendrein zwischen Bundesregierung und bayerischer Staatsregierung. Wobei zwischen ihnen das Flüchtlingsthema beileibe nicht der einzige Grund dafür ist. Und dann, zu guter Letzt, gibt es auch noch Missverständnisse zwischen der CDU und Merkel wie der CDU im Blick auf sich selbst. Man könnte schon sagen, dass das eine komplexe Situation ist. Eine, die – im Wortsinn – wesentlich mit Merkel zu tun hat.

Die CSU denkt, sie sei die Gralshüterin der Politik fürs Innere

Aber der Reihe nach, an einem Beispiel: Es bleibt ein inzwischen schon plakatives Missverständnis, dass die Bundeskanzlerin noch die Heilige Angela der Flüchtlinge sei. Vielleicht war das am Anfang so, als sie vor allem das Gefühl leitete und sie situativ, intuitiv humanitär entschied. Das hat sich allerdings längst verändert. Und wenn es auch jetzt nicht die reine Ratio sein sollte, die sie leitet, sondern immer noch Gefühl, dann ist es das Gefühl für eine zugespitzte Situation, die ihr und ihrem Amt gefährlich werden kann: ihrem Kanzleramt und ihrem Parteiamt.

Was aber bleibt, ist das Ergebnis, und das ist eine Flüchtlingspolitik, die auf Restriktion basiert, auf der nochmaligen Verschärfung des Asylparagrafen wie auf der Grenzschließung der europäischen Nachbarn der Bundesrepublik. Alles kommt ihr hierbei zupass. Da kann sich Merkel gut beschweren, denn den Kurs der anderen Regierungen zu ändern, wird ihr ja nicht gelingen. Darauf kann sie bauen. Horst Seehofer übrigens auch. Nur wenn er glaubt, dass Merkel das jemals öffentlich zugibt, hat er sich getäuscht. Warum sollte sie? Soll sie wirklich die Bürger, deren Vertrauen und Sympathie ihr Kapital ist, darauf stoßen, dass sie gar nicht so prinzipienfest ist, prinzipientreu bis zum Schluss? Nicht aus ihrer Sicht.

Das nächste Missverständnis: Die CSU denkt, sie sei die Gralshüterin der Politik fürs Innere – und zugleich der inneren Werte der Unionsparteien. Das ist bei ihr tradiert. Von Friedrich „Fritz“ Zimmermann an war es beispielsweise die Haltung der CSU, gegen Einwanderung zu sein und für „Law and Order“. Nur verstehen sich Zimmermanns Nachfolger, auch Nachnachnachfolger wie Thomas de Maizière, nach einiger Zeit im Amt nicht minder so. Und de Maizière ist von der CDU. Somit schwindet ein Alleinstellungsmerkmal für die CSU. Einerseits.

Andererseits ist das erstens ungewollt, sprich: nicht die Folge einer strategisch ausgeklügelten Politik, die in einzelnen Personen Funktionen sieht und ihnen bestimmte politische Positionen zuweist, damit ein möglichst breites Spektrum abgedeckt wird. Dieses Spektrum erst macht eine Partei zu einer sogenannten Volkspartei. Nein, hier gebietet auch wieder das Situative. Der Innenminister holt sich momentan schlicht das politische Terrain zurück, das er im Zuge der Flüchtlingskrise verloren hat.

Die CDU ist noch lange keine „Volkspartei der Mitte“

Zweitens ist da immer wieder die Parteivorsitzende der CDU, die ein Bild bietet, das beinahe naturgemäß denen besser gefällt, die anderen politischen Grundrichtungen anhängen, eher linken, eher grünen. Um bei Brecht zu bleiben: als der gute Mensch von Sezuan. Daraus ergibt sich in der Kommunikation nach außen, aus der Union in die Gesellschaft hinein, sowohl ein zeitweilig schwierig zu überbrückender Zwiespalt als auch die schlichte Frage: Wofür stehen sie nun eigentlich, die CDU und ihre Chefin?

Bei der Suche nach der Antwort könnten Missverständnisse enden, die für die Zukunft und schon gar für Wahlkämpfe wichtig sind. Weder ist die CDU so moderat, wie Merkel sie erscheinen lässt, noch so konservativ, wie es manche Äußerungen etwa von de Maizière vermuten lassen. Die CDU ist darum aber noch lange keine „Volkspartei der Mitte“, als die sie sich anpreist – sie ist inhaltlich zunehmend weniger von Grundwerten getrieben als vom Pragmatismus. Die Kanzlerin wiederum ist der Ausdruck dessen.

Von ihr nun zu erwarten, dass sie die Verkörperung des Konservativen sein soll, ist das Missverständnis, mit dem vor allem diejenigen zu kämpfen, die mit Angela Merkel in unterschiedlicher Weise koalieren: national die Schwesterpartei CSU unter Horst Seehofer und der Bündnispartner SPD, an der Spitze Sigmar Gabriel. Angesichts dessen wäre es nicht verwunderlich, wenn auch international die Partner nicht mehr so ganz genau wüssten, was sie von der deutschen Politik halten sollen.

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