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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© dpa

Angela Merkel und die Flüchtlinge: Das Thema Putsch kann man ad acta legen

Die Bundeskanzlerin wird bei ihrem Bekenntnis zur Willkommenskultur bleiben und gleichzeitig deutlich machen, dass die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückgewonnen werden muss. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Erleben wir gerade die Entmachtung einer Bundeskanzlerin, schleichend, ohne dass sie durch ein offenes Misstrauensvotum gestürzt wird?

Natürlich wird kein Unionsabgeordneter gegen eine Regierungschefin putschen, die, abgesehen von ihrer Flüchtlingspolitik, immer noch laut aktuellem Politbarometer eine Zustimmungsrate von 70 Prozent hat und als Führungsfigur in ihrer Partei nach wie vor alternativlos ist. Wolfgang Schäuble wäre, den Extremfall vorausgesetzt, allenfalls ein Kanzler des Übergangs, aber des Übergangs wohin?

Nein, das Thema Putsch kann man getrost ad acta legen, nicht aber das Thema Kurskorrektur. Und zu der wird Angela Merkel natürlich jedes Mal gezwungen, wenn sie den Schäubles und de Maizières nicht krachend in die Parade fährt, wie sie es einmal durch ihren Kanzleramtsminister dem Innenminister hat antun lassen. Das, was am vergangenen Freitagabend ablief, wäre ein klassischer Rücktrittsgrund gewesen, hätte man es bei dem so desavouierten nicht mit einem klassischen Pflichtmenschen wie Thomas de Maizière zu tun.

Aber dass viele, sehr viele Unionsabgeordnete zunehmend mit diffusen Ängsten und konkreten Sorgen von ihren Wahlkreisterminen zurück in die Hauptstadt kommen, ist unüberhörbar. Eine aktuelle Stunde des Bundestags wie am Mittwoch, in der CDU- und CSU-Parlamentarier einer nach dem anderen ihre Bedenken gegen die grenzenlos wirkende Willkommenskultur der eigenen Regierungschefin formulieren, wann gab es das schon?

Die Versorgung in den Flüchtlingslagern muss besser werden

Und Merkel ist ja weder taub noch blind. Seit ihrem „Wir schaffen das“ vom 31. August und dem geradezu eruptiven „dann ist das nicht mein Land“ vom 15. September hat sich auch für die Bundeskanzlerin die Lage verändert. Längst ist neben dem Glaubensbekenntnis an die Krisenbewältigungskräfte der Deutschen ein anderer Dreiklang getreten. Er besteht aus dem Druck auf eine Reihe von EU-Staaten, bei der Lastenverteilung nicht mehr abseits zu stehen, der Entschlossenheit, die Außengrenzen der Union zu sichern und dem Milliardenengagement in den Krisenregionen.

Denn klar ist: Nur dann werden sich nicht mehr Zehntausende auf den Weg nach Europa machen, wenn die Versorgung in der Heimat nahen Flüchtlingslagern besser wird und der syrische Bürgerkrieg selbst beendet oder dessen Ende zumindest absehbar ist. Erstaunlicherweise hat die russische Militärintervention in Syrien die Wiener Verhandlungen erst möglich gemacht. Und die brachten, über die neun Punkte des offiziellen Abschlusskommuniqués hinaus, zwei weitere, ungeschriebene: Keine Friedensgespräche ohne Assad, kein Frieden in Syrien mit Assad.

Im Wissen um diese Zusammenhänge wird die Kanzlerin bei ihrem grundsätzlichen Bekenntnis zur deutschen Willkommenskultur bleiben und den Herren mit den markigen Sprüchen deutlich machen, dass man Menschen in Not nicht mit Stacheldraht und Gewaltandrohung gegenübertritt. Aber was sie eben auch leisten muss, und diese Notwendigkeit deutlich zu machen war dann wohl die Aufgabe von Schäuble und de Maizière: Die Entschlossenheit der Bundesregierung zu formulieren, die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückzugewinnen. Am 13. Dezember (es ist der dritte Advent) beginnt in Karlsruhe der Bundesparteitag der CDU. Bis dahin hat Angela Merkel Zeit, zu zeigen, dass sie die Richtlinien der Politik bestimmt – nur sie.

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