zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© rtr

Angela Merkel und Russland: Wenn ein Bauchgefühl zur Strategie wird

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in dieser buchstäblich aufgeladenen Situation für ein Freihandelsabkommen mit Russland. Nur ein situativer Einfall? Oder mehr, ein Test? Wenn es funktioniert, was bedeutet das? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Nachher gerinnt zur Strategie, was vorher keine war. Dieser Satz gilt für vieles in der Politik, weil Politiker, wenn sie denn beschlagen sind, es verstehen, später so zu tun, als sei alles geplant gewesen. Den Erfolg vorausgesetzt. In dieser Disziplin gibt es in der amtierenden Bundesregierung einige Meister(-innen). Zu ihnen zählt, wenngleich über die Jahre eher unbemerkt, die Bundeskanzlerin. Da denken die meisten, sie habe sich schon alles dazu gedacht – und dann war es doch eher situativ oder intuitiv. Oder eine ihrer Versuchsanordnungen, bei denen vorher keiner ganz genau weiß, was am Ende herauskommt.

Nach diesem Vorspruch können wir uns die jüngsten Vorstöße der Angela Merkel anschauen. Der Islam gehört auch zu Deutschland, sagt sie, damit Christian Wulff zitierend. Abgesehen davon, dass das nicht grundstürzend ist, dass sie das auch schon mal vorher gesagt hat – sie sagt es jetzt, nach einiger Zeit des Abwartens in einer gesellschaftlich durchaus aufgeladenen Situation. Was sie meint, ist allerdings etwas anderes, und das hat sie erklärend quasi nachgeschoben: Die Muslime gehören auch zu Deutschland. Die Kurzformel lautet also: Muslime ja, Islam na ja.

Schillernde Unterscheidung

Diese schillernde Unterscheidung ist deshalb wichtig (geworden), weil in der CDU dann doch noch einige sind, denen das Verhältnis zum Islam zu beliebig ist. Wofür sind sie Christdemokraten, nicht wahr? Sind es auch die Älteren, die so denken – die sind in der Mitgliedschaft und in der Wählerschaft die Mehrheit. Ohne Mehrheit aber keine Kanzlerschaft, das ist eine einfache Gleichung. Mögen Physiker, um dieses Bild von der Kanzlerin noch einmal zu strapazieren, auch gerne eine Menge ausprobieren, rechnen können sie in jedem Fall. Im Nachhinein kann Merkel sagen, dass sie die Mitglieder doch nur für eine neue Sicht und die CDU für mehr Wähler öffnen wollte. Aber wenn sich einer mehr dabei denkt, ist das auch willkommen; denn mit wem verbindet sich das? Genau.

Oder jetzt das Verhältnis zu Russland und der Ukraine. Ob Merkel das alles wirklich so beabsichtigt hat, ist nicht sicher. Aber man könnte die Geschichte gut so erzählen, gewissermaßen mit diesem Spin: Die Kanzlerin nutzt das Weltwirtschaftsforum in Davos als Bühne; Davos, das keine staatliche Veranstaltung ist, aber doch ziemlich offiziell. Denn sie will die Russen locken, sich wieder zu zivilisieren. Dafür nimmt Merkel nicht die größte mögliche Bühne, sondern ein kleineres Forum – damit sich die Wellen langsamer ausbreiten und die Verbreitung unter Kontrolle bleibt.

Die Lockung des Wladimir Putin

Was sich verbreitet: Merkel ist in dieser buchstäblich aufgeladenen Situation für ein Freihandelsabkommen mit Russland. Unter Bedingungen, versteht sich. Die Lockung, ja Verlockung ist, dass Wladimir Putin das auch immer haben wollte, ein Abkommen von Lissabon bis Wladiwostok.

Nur ein situativer Einfall? Oder mehr, ein Test? Oder beides? Gleichviel, jetzt wird etwas daraus gemacht, aus diesem einen Schritt auf Putin zu. Flankiert wird Merkel von Vizekanzler Sigmar Gabriel und von Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowieso. Da kann die Kanzlerin sagen, was sie will, sogar, dass es gar nichts Neues sei – auf diesem Weg gerinnt das Gesagte zur Strategie. Und wenn es funktioniert, einen Erfolg bringt, wenn Russland darauf anspringt und die Ukraine endlich in Ruhe lässt, wer hat den Erfolg vorbereitet? Genau.

Am Ende kommt dann der nächste Wahlsieg heraus. Ziemlich wahrscheinlich jedenfalls.

Zur Startseite