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Hans-Dietrich Genscher, Bundesaußenminister a.D. (FDP), hier am 12.11.2014 während der Vorstellung des Buches "Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik", fühlt sich durch Angriffe auf Flüchtlingsheime an NS-Zeit erinnert.

© dpa

Angriffe auf Flüchtlingsheime: Genscher fühlt sich an NS-Zeit erinnert

Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher schaltet sich in die Flüchtlingsdebatte ein und DGB-Chef Hoffmann warnt vor "Ghettoisierung".

Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher fühlt sich bei Angriffen auf Flüchtlingsheime an seine Kindheit im Nationalsozialismus erinnert. „Wissen Sie, immer wenn ich eine Meldung über einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim lese, stehen vor mir die Bilder meiner Kindheit: brennende Synagogen und zerstörte jüdische Ladengeschäfte“, sagte Genscher in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit". 

Zugleich verteidigt Genscher die Ostdeutschen gegen den Vorwurf, sie seien für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit besonders anfällig. „Ich erinnere mich noch daran, welche rassistischen Töne in den frühen Fünfzigern in der Bundesrepublik zu hören waren", sagte der 88-Jährige. „Da gab es die Rechtspartei, die Deutsche Reichspartei, die NPD saß in vielen Länderparlamenten“, so Genscher weiter. „Sicher hat der Osten ein Rechtsextremismus-Problem, aber der Westen weiß nur zu gut, wie sich das anfühlt.“

DGB-Chef Reiner Hoffmann dringt wegen des wachsenden Zustroms von Flüchtlingen auf mehr Unterstützung des Bundes für die Kommunen. „Hier muss dringend der Bund Verantwortung übernehmen“, sagte Hoffmann am Dienstagabend in Mainz. „Wir haben auch eine besondere humanitäre Verantwortung Flüchtlingen gegenüber.“ Er warnte vor einer „Ghettoisierung“ bei der Unterbringung von Asylsuchenden. „Das kann keiner wollen, da muss man frühzeitig gegensteuern.“ Die Kommunen müssten finanziell entlastet werden, würden bisher aber zum großen Teil alleingelassen. Die Flüchtlingspolitik müsse außerdem europäisch koordiniert werden.

Müller will schnelleren Flüchtlingsgipfel

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich dafür ausgesprochen, den im Herbst geplanten Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern vorzuziehen. Angesichts der aktuellen Probleme bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen seien frühzeitige Gespräche dringend erforderlich, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. Er forderte die Bundesregierung auf, die Kommunen finanziell und strukturell stärker zu unterstützen. Die zugesagten 27 Millionen Euro reichten bei weitem nicht aus.
Der Bund müsse dynamisch auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren. Denkbar sei zum Beispiel eine Pro-Kopfpauschale, betonte Müller. Zudem müssten die Menschen besser integriert und gefördert werden, etwa durch Sprachkurse für Erwachsene oder Schulbildung für Kinder. Zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gefordert, den Flüchtlingsgipfel auf September vorzuziehen. Dieser war bislang für Oktober oder November geplant.

Juncker warnt in Flüchtlingsfrage vor Populisten

Unterdessen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Regierungen der EU-Mitgliedsländer aufgefordert, in der Flüchtlingsfrage nicht vor Populisten und Ausländerfeinden einzuknicken. "Ihr dürft Euch nicht durch populistische Gedanken blenden lassen, die in allen Ländern präsent sind", sagte Juncker in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch. Wer Populisten folge, werde am Ende selbst zum Populisten, warnte Juncker und forderte Standhaftigkeit gegenüber populistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen.

Der Kommissionspräsident zeigte sich enttäuscht, dass sich die EU-Staaten nicht auf die Verteilung von 40.000 zumeist syrischen und eritreischen Flüchtlingen aus Italien und Griechenland einigen konnten. Die EU-Justiz- und Innenminister hatten bei ihrem Gipfel am 20. Juli lediglich beschlossen, bis Oktober 32.250 Migranten auf die 28 Mitgliedstaaten zu verteilen. "Minister, anders als Bürger, sind zum Handeln verpflichtet. Wir haben Vorschläge gemacht, die weit reichten, aber angesichts des Ausmaßes des Problems noch gemäßigt waren", sagte Juncker.

"Wir haben ein verpflichtendes System zu Verteilung von Asylbewerbern und Menschen vorgeschlagen, die internationalen Schutz brauchen. Doch sind uns die Mitgliedstaaten nicht gefolgt, so dass wir gezwungen waren, eine Einigung auf freiwilliger Basis zu suchen", beklagte Juncker. Die EU-Kommission werde im Herbst einen neuen Anlauf zur Verteilung der Flüchtlinge unternehmen. "Ich will glauben, dass sie ehrgeizig reagieren werden", sagte Juncker mit Blick auf die EU-Staaten. Andernfalls müsse die Kommission ihre Pläne überdenken. (AFP/dpa/epd)

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