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Der Protest in der arabischen Welt wächst.

© dpa

Angriffe auf US-Botschaften: Zwischen Freund und Feind

Ein islamfeindlicher Film löst in arabischen Staaten antiamerikanische Gewaltakte aus. Mehrere Botschaften wurden schon angegriffen. Was steckt hinter den Ausschreitungen?

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Die Angriffe auf US-Botschaften wegen eines anti-islamischen Films haben Befürchtungen ausgelöst, dass es zu einem antiamerikanischen Flächenbrand in der islamischen Welt kommen könnte. Diese Gefahr ist wohl umso größer, je stärker sich terroristische Kräfte die fragile Situation in den arabischen Umbruchstaaten zunutze machen.

Wie ist die Erstürmung der US-Botschaft in Bengasi abgelaufen?

Der US-Botschafter in Libyen, Christopher Stevens, war am Dienstag von Tripoli nach Bengasi gereist, um in der Hafenstadt ein amerikanisches Kulturzentrum zu eröffnen. Am Abend fuhr er ins Konsulat. Laut „Washington Post“, die sich auf die Zeugenaussage eines libyschen TV- Journalisten beruft, seien gegen 21.30 Uhr rund 20 bis 30 Autos in Richtung Konsulat gefahren. Etwa 50 bewaffnete Männer seien ausgestiegen. Auf die Frage, wer sie seien, hätten sie geantwortet: „Muslime, die den Propheten verteidigen“.

Was dann geschah, beschreibt ein US-Regierungsbeamter so: Bislang nicht identifizierte libysche Extremisten beschossen um 22 Uhr das Konsulatsgelände mit Raketen und Granaten. Der Botschafter hielt sich zu der Zeit mit zwei Mitarbeitern im Hauptgebäude auf. Gegen 22.15 Uhr drangen die Angreifer auf das Gelände vor, eröffneten das Feuer auf das Hauptgebäude und setzten es in Brand. Sicherheitskräfte erwiderten das Feuer. Die drei amerikanischen Diplomaten wurden durch dichten, schwarzen Rauch auseinander getrieben.

Gegen 23.20 Uhr hätten US-Sicherheitsbeamte dann zwar das Hauptgebäude wieder kontrolliert, sich aber immer noch schwere Gefechte mit den Angreifern geliefert. In dieser Zeit sei der Botschafter, ob nur verletzt oder bereits tot, offenbar von libyschen Sicherheitskräften in ein Krankenhaus in Bengasi gebracht worden. Dort sei dessen Tod diagnostiziert worden, gestorben sei er vermutlich durch eine Rauchvergiftung. In der „New York Times“ beklagt sich ein libyscher Politiker, der noch am Morgen mit Stevens gefrühstückt hatte, über die angeblich laxen Sicherheitsvorkehrungen im Konsulat. Demnach habe es nur vier Videokameras und vier libysche Sicherheitsbeamte gegeben. Am Mittwoch erhöhten die USA die Sicherheitsvorkehrungen für ihre Botschaften und schickten zwei Kriegsschiffe sowie ein FBI-Team und 50 Marineinfanteristen nach Libyen.

Hat der Angriff einen terroristischen Hintergrund?

Die Angreifer waren offenbar gut organisiert, vorbereitet und schwer bewaffnet. Der Ablauf spricht gegen eine spontane Aktion. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers, vermutete daher umgehend einen terroristischen Hintergrund. Der Angriff trage klar die Handschrift von Al Qaida. Dafür spreche auch das Datum, der Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001. „Seit Monaten haben wir beobachtet, wie Al Qaida nach Zielen Ausschau gehalten hat, die den Westen treffen.“ Genährt wird die Terror-These durch den jüngsten Aufruf von Aiman al-Sawahiri, dem Anführer von Al Qaida, die Tötung des Top-Terroristen Al-Libi zu rächen, der bei einem amerikanischen Drohnenangriff ums Leben gekommen war. Offizielle Stellen sowie das FBI halten sich mit Mutmaßungen über die Hintermänner zwar zurück, doch zumindest die Tatsache, dass es sich um einen geplanten Angriff gehandelt habe, sei derzeit die Arbeithypothese, heißt es aus Geheimdienstkreisen. Zur Aufklärung seien Drohnen nach Libyen geschickt worden. Möglich ist auch, das sich sowohl Demonstranten, die gegen den anti-islamischen Video-Film protestierten, als auch organisierte islamistische Einheiten vor dem Konsulat versammelt hatten.

Deutsche Sicherheitsexperten schreiben den Angriff einer Gruppe Dschihadisten zu, die dem nordafrikanischen Al-Qaida-Ableger nahestehen oder sogar angehören. In Bengasi und dem Umland, der nordöstlichen Region Cyrenaika, sei es Dschihadisten gelungen, nach Sturz des Gaddafi-Regimes Fuß zu fassen. Als besonders gefährlich gilt „Al Qaida im islamischen Maghreb (AQM)“. Die Organisation ging aus der algerischen Terrorgruppe GSPC hervor. Bei AQM mischen inzwischen außer Algeriern auch Libyer und andere Nordafrikaner mit.

Die Dschihadisten profitierten insgesamt von der Schwächung staatlicher Autorität in den Ländern des arabischen Frühlings, sagten Experten. Es gebe allerdings Unterschiede. Tunesien gelinge es immer wieder, den Aufbau dschihadistischer Strukturen zu verhindern. Die Sicherheitskräfte funktionierten dort auch nach dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali im Januar 2011. In den Ländern, in denen jetzt die gewaltsamen Proteste gegen das Anti-Mohammed-Video aufflammen, sei das nicht der Fall. In Libyen, Ägypten und Jemen hat der arabische Frühling auch einen Aufschwung für Salafisten und Dschihadisten bewirkt. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, warnte am Anfang der Woche im Interview des Tagesspiegels, Ägypten „könnte zur Drehscheibe für Salafismus und Terrorismus werden“.

Wie beeinflussen die Vorfälle den amerikanischen Wahlkampf?

Zum ersten Mal steht mit den antiamerikanischen Ausschreitungen in einem Teil der muslimischen Welt ein außenpolitisches Thema im Zentrum des Präsidentschaftswahlkampfes. Der republikanische Herausforderer Mitt Romney hatte noch am Dienstagabend, also bevor das Ausmaß der Ausschreitungen überhaupt bekannt war, der Regierung von Barack Obama vorgeworfen, mit den Protestlern zu sympathisieren. Er bezog sich damit auf eine Stellungnahme der US-Botschaft in Kairo, in der beklagt worden war, dass mit dem anti-islamischen Video das Recht auf Redefreiheit missbraucht werde, um die religiösen Gefühle anderer zu verletzen. Allerdings war dieses Statement nicht autorisiert worden. Dennoch sah Romney darin eine gute Gelegenheit, sich zu profilieren. „Sich für Amerikas Werte zu entschuldigen, ist niemals richtig“, lautet ein oft von ihm gehörter Satz. Der Titel seines vor zwei Jahren erschienenen Buches lautet: „No Apology“ – keine Entschuldigung.

Entsprechend heftig schlug das Lager der Demokraten zurück. Romney verfolge ein Taktik nach dem Motto „erst schießen, dann zielen“, warf Obama seinem Herausforderer vor. Geschmacklos, voreilig, ohne Faktenkenntnis, unsouverän: Selbst einige Republikaner distanzieren sich von ihrem Kandidaten, doch andere stimmen in die Vorwürfe ein. Analogien werden gezogen zwischen Obama und Jimmy Carter, der sich 1979 von iranischen Revolutionären vorführen ließ. Einige konservative Kongressabgeordnete fordern, die finanzielle Unterstützung für Libyen und Ägypten zu reduzieren.

Wie ist heute das Verhältnis der USA zur islamischen Welt?

Obama war als Präsident angetreten, dieses Verhältnis, das durch George W. Bush als ramponiert galt, zu verbessern. Seine Rede in Kairo war gewissermaßen eine Umarmung der Muslime. Früh setzte er sich für jene Kräfte in Tunesien, Ägypten und Libyen ein, die die alten Despoten stürzen wollten. Damit verärgerte er traditionelle Verbündete wie Israel, die Golfstaaten und das ägyptische Militär. Es hat den Anschein, als falle ihm diese Politik jetzt auf die Füße: In Tunesien und Ägypten sind Islamisten an die Macht gekommen.

Die Milizen in Libyen lassen sich nicht entwaffnen. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi brauchte 24 Stunden, um die Erstürmung der US-Botschaft in Kairo zu verurteilen. Dabei ist sein Land mit zwei Milliarden Dollar pro Jahr der nach Israel zweitgrößte Empfänger von amerikanischen Zuwendungen. Doch im Konfliktfall scheint sich Mursi eher auf die Seite seiner Muslimbrüder zu schlagen als auf die Seite Amerikas. All das wird in den USA aufmerksam registriert. „Wir betrachten Ägypten nicht als Verbündeten, aber auch nicht als Feind“, sagte Obama am Mittwoch.

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