zum Hauptinhalt

Politik: Angst vor Anarchie

Die Menschen in Bagdad freuen sich über das Ende des Bombenhagels – und fürchten nun Chaos durch Plünderer

„Sie werden frei sein, um ein besseres Leben zu errichten an Stelle von noch mehr Palästen für Saddam und seine Söhne. Der Albtraum wird bald vorbei sein.“ Bush und Blair an die irakische Bevölkerung

Von Andrea Nüsse, Joachim

Huber und Asne seierstad

Die Bilder waren beeindruckend: Iraker jubeln den US-Truppen zu, eine Statue Saddam Husseins wird niedergerissen, Menschen stürmen furchtlos Regierungsgebäude. Auf diese Aufnahmen hatten die USA und Großbritannien seit Wochen gewartet. BBC und CNN wiederholten sie ständig. Zu sehen waren allerdings hauptsächlich zwei Plätze in Bagdad: der Fardous-Platz neben dem „Palestine“-Hotel sowie plündernde und singende Menschen in Saddam City. Insgesamt wurde von „einigen hundert“ feiernden Irakern gesprochen –bei einer Fünf-Millionen-Stadt ein relativ geringer Prozentsatz.

RTL-Korrespondentin Antonia Rados sagte dem Tagesspiegel, ihrer Einschätzung nach sei zwar die breite Mehrheit der Bevölkerung erleichtert über den Sturz des Regimes. Der Jubel über den Fall der Hauptstadt hänge aber weniger mit den Amerikanern zusammen als mit der Erleichterung darüber, dass „der heiße Krieg vorbei ist: keine Bomben mehr, keine Explosionen mehr“. Das US-Militär werde von einer breiten Mehrheit als „Besatzer“ beurteilt: „Die Niederlage Saddams wird auch als Niederlage für den irakischen Stolz und die Ehre gesehen.“ Beim Sturz der Saddam-Statue zum Beispiel hängte zunächst ein US-Soldat den Sternenbanner über das Gesicht des irakischen Präsidenten. Als sich unter den Irakern Protest rührte, wurde die US-Flagge gegen eine irakische Fahne ausgewechselt. „So etwas darf nicht allzu oft geschehen“, warnte Rados.

Zur Situation in der Hauptstadt sagte Rados: „In Bagdad herrscht eine Atmosphäre, bei der sich Angst und Chaos mischen.“ Die Bewohner registrierten mit Entsetzen, dass es nach wie vor zu Plünderungen komme. So wurden am Donnerstag auch die deutsche Botschaft und das französische Kulturzentrum leer geräumt. Die Residenz von Vizeministerpräsident Tarik Asis wurde systematisch geplündert. Und in einem Büro der ehemals regierenden Baath-Partei kam es zu folgender Szene: Die Amerikaner schauen mit geladenen Waffen zu, wie die Leute alles von Wert aus dem Gebäude tragen. Die Plünderer lachen die Soldaten an, die mit regloser Miene und dunklen Sonnenbrillen danebenstehen.

Bewaffnete irakische Plünderer überfielen am Donnerstag sogar das El-Kindi-Krankenhaus. Alarmierte US-Truppen hätten nicht eingegriffen, berichteten Reporter. Mindestens zwei Krankenwagen und Medikamentenkoffer seien entwendet worden. Einen Hilferuf aus der Klinik gaben die Journalisten an Soldaten weiter, die in der Nähe patrouillierten. Das Militär antwortete jedoch, ein Befehl zum Einschreiten liege nicht vor.

„Von den US-Streitkräften wird erwartet, dass sie diese Anarchie stoppen, die Polizei funktioniert, auf den Straßen Sicherheit herrscht und dass eine funktionierende Verwaltung aufgebaut wird“, sagte Rados, und: „Viele verlangen schlicht: Es muss uns besser gehen als unter Saddam.“ Rados wird Bagdad nächste Woche für sieben Tage verlassen. Ersetzt wird sie durch ihren RTL-Kollegen aus Amman. Rados wird danach über den Nachkriegs-Irak aus Bagdad zu berichten.

Die Schiiten im Armenviertel im Nordosten der Stadt griffen unterdessen zur Selbsthilfe gegen die Plünderungen. Die Bewohner errichteten Blockaden, um Passanten zu kontrollieren, ob sie erbeutete Gegenstände mit sich führten. Diese sollen in einer Moschee gesammelt und ihren Besitzern zurückgegeben werden, sagte der Imam Amar al Saadi.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false