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Soldaten stellen eine türkische Flagge auf dem neuen Grab von Suleyman Shah auf.

© Okan Ozer/dpa

Angst vor Terrormiliz IS: Türkei rückt in Syrien ein und bringt Wachsoldaten in Sicherheit

Knapp vier Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien ist die Türkei erstmals mit ihrer Armee ins Nachbarland eingerückt - aber nicht, um zu kämpfen, sondern um Soldaten und die sterblichen Überreste eines mittelalterlichen Herrschers vor der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) in Sicherheit zu bringen.

Fast hundert Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie 572 Soldaten der türkischen Armee überquerten in der Nacht zum Sonntag die Grenze, um etwa 30 Kilometer tief auf syrischem Boden rund 40 Wachsoldaten vom Grabmal des Süleyman Schah, des Großvaters des osmanischen Reichsgründers Osman, zu evakuieren. Die Soldaten nahmen Süleymans Sarg und andere Gegenstände beim Rückzug in die Türkei mit und zerstörten die Gebäude des Grabmals auf einer Halbinsel im Euphrat, um sie für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) unbenutzbar zu machen.

Die Opposition kritisiert den Einsatz

Bei dem türkischen Einsatz gab es keine Auseinandersetzungen mit dem IS, doch starb ein türkischer Soldat bei einem Unfall. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprach trotzdem von einer gelungenen Aktion - dagegen kritisierte die Opposition, Ankara habe aus Furcht vor dem IS türkisches Hoheitsgebiet aufgegeben.

Der Ort des Grabmals zählt laut einem Vertrag aus dem Jahr 1921 als türkisches Territorium; in den vergangenen Monaten war die Gegend um das Monument unter die Herrschaft des IS geraten. Die Dschihadisten betrachten Gedenkstätten wie das Grabmal als Orte des Götzendienstes und zerstören sie, wo sie können.

Mehrmals hatte die türkische Führung gedroht, ein Angriff auf das Grabmal und die Wachsoldaten dort würde mit militärischer Gewalt beantwortet. Nun aber sei zum ersten Mal in der Geschichte der Republik türkisches Staatsgebiet aufgegeben worden, erklärte die säkularistische Oppositionspartei CHP. Die Nationalistenpartei MHP schimpfte, nun bleibe nur die Frage, welcher Teil des Staatsgebietes wohl als nächstes preisgegeben werde.

Die Türkei brauchte die Erlaubnis der Kurden

Beim Vorstoß zu der Exklave durchquerten die türkischen Truppen die nordsyrische Stadt Kobane, wo kurdische Kämpfer mit Unterstützung der USA im Januar eine viermonatige Belagerung des IS beendet hatten. Die Türkei hatte sich damals geweigert, den Kurden in Kobane zu helfen - nun musste die Türkei die Erlaubnis der Kurden einholen, um das Gebiet passieren zu können.

Davutoglu war angesichts der Kritik bemüht, Zweifeln am Patriotismus der Regierung entgegen zu treten. So erklärte er, die türkische Armee habe die sterblichen Überreste von Süleyman Schah zwar in die Türkei gebracht, doch werde der Herrscher bald an einer anderen Stelle in Nordsyrien zur Ruhe gelegt; die türkische Fahne sei dort bereits gehisst worden. Offenbar betrachtet Ankara ab sofort die geplante neue Ruhestätte als türkisches Territorium.

Einige Experten erklärten, Ankara habe aus Vorsicht gehandelt und so möglicherweise größere Probleme verhindert. Doch bei Regierungskritikern stieß die Militäraktion auf ein vernichtendes Urteil. Sie sprachen von einem politischen Offenbarungseid. Die Aktion besiegele das Scheitern der türkischen Syrien-Politik, schrieb der Journalist Ugur Gürses auf Twitter. Ankara dringt seit dem Ausbruch des Aufstandes gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im März 2015 auf einen Sturz der Regierung in Damaskus. Westliche Staaten werfen der Türkei vor, auch mit radikalislamischen Gruppen kooperiert zu haben, um dieses Ziel zu erreichen. Trotz aller türkischer Bemühungen ist Assad nach vier Jahren Krieg nach wie vor am Ruder.

Syrien verurteilt den Einsatz auf ihrem Staatsgebiet

Nach Ansicht von Kritikern ist der Evakuierung des Grabmals zudem ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Ankara dem Druck des IS beugt. Im vergangenen Jahr habe sich die Türkei bei der Eroberung des türkischen Konsulats im irakischen Mossul durch den IS von den Dschihadisten überrumpeln lassen, kommentierte der regierungskritische Journalist Mehmet Baransu. Damals seien türkische Diplomaten in Geiselhaft geraten, jetzt ziehe sich die Türkei vom Süleyman-Grabmal zurück und wolle das auch noch als Erfolg verkaufen.

Die syrische Regierung sprach von einem Angriff der Türkei auf ihr Staatsgebiet und erklärte, Ankara habe Damaskus über die Militäraktion zwar informiert, dann aber ohne Erlaubnis Syriens gehandelt. Sie verurteilte den türkischen Militäreinsatz scharf. Das Eindringen der türkischen Truppen sei eine „offenkundige Aggression“, zitierte die Nachrichtenagentur Sana am Sonntag das syrische Außenministerium. Die Tatsache, dass die Türkei ungehindert zu der Exklave im Machtbereich des IS vorstoßen konnte, sei ein Zeichen für die engen Verbindungen zwischen Ankara und dem IS.

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