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Anhörung zur Edathy-Affäre: Beredtes Schweigen im Innenausschuss

Während die Koalition in der Edathy-Affäre um Entspannung bemüht ist, sollte der Innenausschuss herausfinden, wer was von wem wusste. Der politische Teil der Affäre sei beendet, erklärte der Vorsitzende Bosbach. Welche Ergebnisse brachte die Sitzung?

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Es gibt Momente, da will Horst Seehofer nicht CSU-Vorsitzender und auch nicht bayerischer Ministerpräsident sein, sondern nur und ausschließlich Staatsmann. Am Mittwochmittag ist so ein Moment. „Jeder Anschein von Mauschelei muss vermieden werden, gerade von einer großen Koalition mit so breiter Mehrheit“, doziert Seehofer. Deshalb dringe er nicht nur jetzt auf lückenlose Aufklärung, sondern habe das auch am Vorabend in der Dreier-Runde der Parteivorsitzenden im Kanzleramt getan – nicht aus parteipolitischen, sondern aus übergeordneten Gründen. „Die Aufklärung muss vollständig sein – notfalls auch bis hin zu möglichen personellen Konsequenzen“, sagt Seehofer.

Seehofer nennt keine Namen. Der, den er meinen könnte, der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, wird wenig später im Innenausschuss des Bundestages auftreten. Das Gremium wirkt an diesem Tag nicht zufällig wie ein Untersuchungsausschuss light: Mit der Vorladung von Oppermann, BKA-Chef Jörg Ziercke, SPD-Chef Sigmar Gabriel und anderen vor die Experten des Bundestages könnte ein förmlicher Untersuchungsausschuss vermieden werden.

Welche Rolle spielte BKA-Chef Ziercke?

Als erster Hauptzeuge tritt Jörg Ziercke auf, der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA). Er berichtet den Abgeordneten über jenes Telefonat, das Oppermann mit ihm geführt und zunächst so dargestellt hatte, als habe ihm der oberste Ermittler den Verdacht gegen den Abgeordneten Sebastian Edathy bestätigt. Ziercke hatte das sofort zurückgewiesen.

Was der Spitzenbeamte jetzt berichtet, stellt die Sache denn auch anders dar. Oppermann hat Ziercke am 17. Oktober angerufen. Einen Tag vorher hatte der BKA-Chef dem Staatssekretär im Bundesinnenministerium Klaus-Dieter Fritsche gesagt, dass Edathy auf einer Liste im Zusammenhang mit Kinderporno-Ermittlungen stand. Fritsche hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich informiert, der den SPD-Chef Gabriel und der die damalige Fraktionsspitze, Frank-Walter Steinmeier und Geschäftsführer Oppermann.

Am 17. Oktober gegen 15.30 Uhr habe ihn Oppermann angerufen. „Ich war wirklich sehr überrascht, weil ich vier, fünf Jahre keinen Kontakt mehr hatte“, sagt Ziercke. So was sei keinesfalls ein typisches Telefonat unter SPD-Parteifreunden. Oppermann habe ihm dargelegt, was der aus dem Gespräch Friedrich-Gabriel wusste. „Ich war spürbar angespannt, weil ich wusste, dass die Grenze der freundlichen Kommunikation nahe rückt“, schildert Ziercke. Er habe darauf hingewiesen, dass er das nicht kommentieren könne. Oppermann habe versichert, dass er ihn nicht in Schwierigkeiten bringen wolle. Strafrechtliche Relevanz habe das drei oder vier Minuten lange Gespräch nicht gehabt.

Allerdings, räumt Ziercke ein, „muss ich zugeben, dass ich den geschilderten Sachverhalt auch nicht dementiert habe. Das könnte ich nicht, weil ich sonst gelogen hätte oder den Minister der Lüge bezichtigt hätte.“ Mit anderen Worten: Mag sein, dass Oppermann das Schweigen als verkapptes Ja gedeutet hat.

Was sagt Oppermann dazu?

Vor allem diesen einen Satz mag er nicht sagen, zum Ärger des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Bosbach: Den Satz ’Es war ein Fehler’. „Das fällt Politikern immer schwer“, sagt Bosbach. Oppermann sieht aber keinen Fehler. Dass es ihm „aufrichtig leid“ tue, dass er durch seine Veröffentlichung Friedrichs Rücktritt mit verursacht habe – das ja. Doch Fehler? Nach seinem knapp zweistündigen Auftritt im Ausschuss schildert der SPD-Politiker, dass er "fassungslos und schockiert" gewesen sei, als er von Gabriel von den Vorwürfen gegen Edathy erfuhr. Er habe Ziercke angerufen, um die Information „einordnen“ zu können. „Vielleicht war es meine heimliche Hoffnung, dass Ziercke mir sagt, dass das eine Verwechslung oder ein Irrtum sei.“

Ziercke habe nichts gesagt, trotzdem sei er nach dem Gespräch „subjektiv absolut überzeugt“ gewesen, dass Edathy mit Strafverfolgung gerechnen müsse. Dass er anfangs behauptet hatte, Ziercke habe ihm die Information über Edathy bestätigt, bedaure er: „Das könnte man missverstehen.“

Insoweit bringt die Aussage nichts Überraschendes. Neu ist das Detail, dass Oppermann den damaligen Chef Frank- Walter Steinmeier über den Anruf in Wiesbaden informierte: „Ich habe ihm kurz gesagt, dass der Anruf bei Ziercke nichts Neues gebracht hat.“ Der Außenminister versichert dann dem Ausschuss, er habe sein Wissen für sich behalten.

Neu ist auch, wer alles vorab von jener Pressemitteilung wusste, die die ganze Affäre öffentlich ins Rollen brachte. Es habe sehr konkrete Presseanfragen gegeben, sagt der Fraktionschef zu seiner Rechtfertigung. Er sei sich mit Gabriel und Steinmeier einig gewesen, dass nur volle Offenheit helfe, um nicht den Eindruck von Verschleierung zu erwecken. Am Abend des 12. Februar, erklärt er im Ausschuss, habe er Innenminister Thomas de Maizière (CDU) telefonisch über den Sachverhalt und die geplante Erklärung berichtet. Tags darauf habe er – noch vor der Veröffentlichung – den Text an die Büros von Friedrich, de Maizière, Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Unionsfraktionschef Volker Kauder gesandt.

Wieso dauerte es so lange, bis gegen Edathy ermittelt wurde?

Eine Antwort darauf gibt es inzwischen durch Zierckes Aussage: Lange Zeit wusste gar keiner, dass Edathy auf der Liste mit Kundennamen stand, die kanadische Ermittler bei einem Kinderporno-Händler fanden. Die Kanadier ermittelten seit 2010, im Oktober 2011 schickten sie 450 Gigabyte Beweismaterial an das BKA mit 800 Verdächtigen, darunter 500, die eindeutig strafbare Bilder und Filme bestellt hatten. In Wiesbaden lief aber gerade ein anderes, noch größeres Kinderporno-Verfahren. Die Liste blieb liegen. Erst im Oktober 2013 landete der Name „Sebastian Edathy“ bei der Polizei in seiner Heimatstadt Nienburg – und erst dadurch erfuhr auch das BKA, wer dieser Verdächtige ist.

Manche Abgeordnete finden das sonderbar, der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) hat aber Verständnis: Es sei weder nötig noch gewünscht, dass solche Listen auf Prominente hin durchsucht würden.

Sind die wichtigsten Fragen damit beantwortet?

Für die Opposition ist die Sache nicht erledigt. Noch während der Ausschuss berät, hat die Koalition im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum Fall Edathy angesetzt. Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz sieht dort in der Telefon-Geschichte Fragen offen. „Zwei Männer schweigen sich an und wissen danach Bescheid“ – das glaube doch kein Mensch! Und dass keiner der beiden über den Anruf einen Vermerk fertigte, zeige ebenso, dass beide den Vorgang alles andere als unproblematisch empfanden. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) erklärt die Affäre hingegen für „weitestgehend erledigt“, was den politischen Teil betreffe.

Und die Koalitionskrise?

Beendet ist sie nicht, auch nicht nach dem Dreier-Treffen zwischen Angela Merkel, Gabriel und Seehofer am Dienstagabend. Was dort besprochen wurde, sagt auch der CSU-Chef nicht, der sich als einziger der drei äußert. Nur, dass ein „Kuhhandel“ mit Sachfragen als Wiedergutmachung für Friedrichs Abgang „unter keinen Umständen“ infrage komme. Das stimmt sicherlich insoweit, als jede konkrete Absprache „Friedrich gegen Biogas“ alle Beteiligten desavouiren würde. Was die Union von der SPD stattdessen erwartet, wird nur indirekt erkennbar. Seehofer sagt es so: Im Moment werde in der Koalition ein „Arbeitsverhältnis“ praktiziert, das erst wieder zum Vertrauensverhältnis werden müsse. Unionsfraktionschef Volker Kauder benutzt fast wortgleich die gleiche Formel.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt, die Koalition sei arbeitsfähig, aber weiter in einer schwierigen Lage. Bei dem nachdenklichen Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel am Vorabend seien sich alle drei Parteichefs „der Verantwortung für das Land und die Aufklärung bewusst“ gewesen.

„Vertrauen“ – das heißt, politisch übersetzt: Die SPD muss aufhören, sich als Opposition in der Regierung zu gebärden, sie soll im Bundestag nicht nur dem Vizekanzler zuklatschen, sondern gefälligst der Kanzlerin ebenso, und sie soll auch sonst Gemeinschaftgeist beweisen. Oder, wie die Vize-Regierungssprecherin in Merkels Namen ausrichtet: Im Mittelpunkt des Dreier-Gesprächs habe „das Verantwortungsbewusstsein“ gestanden.

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