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Hoffen auf Unterstützung. Militante Palästinenser in Gaza begrüßen die Wahl des Ex-Muslimbruders Mursi zum ägyptischen Präsidenten. Sie glauben, dass Ägypten sein politisches Gewicht stärker zugunsten der Palästinenser nutzen wird.

© REUTERS

Annährung an Iran: Israel beunruhigt über Ägyptens Außenpolitik

In welche Richtung steuert Ägypten unter dem neuen Präsidenten Mohammed Mursi? Israel ist besorgt: Was passiert, wenn sich Kairo mit Teheran aussöhnt und der Iran dem Nilstaat Milliardenhilfe bietet anstelle der USA?

Der neue Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, will eine außenpolitische Neubestimmung seines Landes im Verhältnis zu Iran und Israel. Das meldete zumindest die iranische Nachrichtenagentur Fars, als Quelle wurde ein Gespräch mit Mursi vom Sonntag genannt. Man wolle wieder diplomatische Beziehungen mit Teheran aufnehmen und auf diese Weise „eine bessere strategische Balance“ in der Region schaffen, erklärte der Muslimbruder demnach kurz vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Ägypten und Iran, die beiden bevölkerungsreichsten Nationen des Nahen Ostens, unterhalten seit den achtziger Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr. Am Montagabend aber, die Meldung war schon über Stunden in der Welt, ließ Mursi dementieren. Es habe das Interview nicht gegeben, die Veröffentlichung entbehre jeder Grundlage. Verwirrung schon kurz nach dem Wahlerfolg.

Eine ähnliche Neubesinnung der ägyptischen Außenpolitik hatte allerdings im Mai letzten Jahres bereits der damalige Außenminister Nabil al Arabi angekündigt, der inzwischen Generalsekretär der Arabischen Liga ist. Die ägyptischen Pläne stießen damals in den USA und in Europa, aber auch bei den reichen Ölstaaten am Golf auf Skepsis. Saudi-Arabien fühlt sich auf arabischer Seite als strategischer Gegenspieler zum Iran. Darum könnte das Königreich sein kürzlich zugesagtes Milliarden-Hilfspaket dazu nutzen, Ägyptens Pläne zu torpedieren.

In dem – dementierten – Interview kündigte Mursi auch an, die neue ägyptische Führung werde den 1979 geschlossenen Friedensvertrag von Camp David einer Revision unterziehen. Vor zwei Monaten hatte Ägypten bereits den Gasliefervertrag mit Israel einseitig gekündigt, nachdem es zuvor acht schwere Bombenanschläge auf die durch den Sinai verlaufende Pipeline gegeben hatte. Aversionen gegen den jüdischen Nachbarstaat sind in der ägyptischen Bevölkerung weit verbreitet. Die Menschen kritisieren vor allem die seit Jahren anhaltende Strangulierung des Gazastreifens sowie die Besetzung der Westbank durch israelische Truppen und Siedler. Zudem hat die im Gazastreifen regierende Hamas die gleichen islamistisch-ideologischen Wurzeln wie die ägyptische Muslimbruderschaft.

Stark angefacht wurden die anti-israelischen Aggressionen am Nil zuletzt im August 2011 durch den Tod von sieben Grenzpolizisten auf dem Sinai. Damals hatten israelische Einheiten nach einem palästinensischen Terrorüberfall nahe dem Badeort Eilat, bei dem acht Menschen ermordet wurden, teilweise auch auf ägyptischem Territorium operiert und die Grenzpatrouille aus Versehen unter Feuer genommen. In Kairoer Stadtteil Dokki stürmte daraufhin eine wütende Menschenmenge die Botschaftsräume Israels in einem Bürohochhaus am Nil.

Der Frieden in der Region hängt auch von den USA ab

Hoffen auf Unterstützung. Militante Palästinenser in Gaza begrüßen die Wahl des Ex-Muslimbruders Mursi zum ägyptischen Präsidenten. Sie glauben, dass Ägypten sein politisches Gewicht stärker zugunsten der Palästinenser nutzen wird.
Hoffen auf Unterstützung. Militante Palästinenser in Gaza begrüßen die Wahl des Ex-Muslimbruders Mursi zum ägyptischen Präsidenten. Sie glauben, dass Ägypten sein politisches Gewicht stärker zugunsten der Palästinenser nutzen wird.

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Das offizielle Israel reagierte beunruhigt und zurückhaltend auf die Wahl Mursis zum neuen Präsidenten Ägyptens. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat es Staatspräsident Schimon Peres überlassen, Mursi zum Wahlsieg zu gratulieren. Peres beließ es bei einem Lob für den demokratischen Prozess in Ägypten und der Hoffnung auf weitere Kooperation auf der Basis des Friedensvertrages. Peres nannte Mursi allerdings nicht einmal beim Namen. Israels Medien und Kommentatoren werden noch deutlicher. Die größtes Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“ spricht in ihrer Schlagzeile gar von einer biblischen Strafe für das südliche Nachbarland, nämlich einer „Finsternis in Ägypten“. Im Fernsehen meinte Orientalist Ehud Yaari: „Der Tahrir-Platz ist grün (die Farbe der Islamisten), doch in Israel sieht man nur schwarz.“

Bildergalerie: Ägyptens langer Weg zur Demokratie

Israel hofft vor allem auf die amerikanische Hilfe für das ägyptische Militär. Sollte es den Generälen am Nil gelingen, längerfristig in Sachen Sicherheit das Sagen zu behalten oder zumindest mitbestimmen zu können, so ist die Gefahr für eine Auflösung des Friedensvertrags kleiner als befürchtet. Zu Mursis Ankündigung, er wolle diesen überprüfen, verweisen die Politiker in Jerusalem und die Militärs in Tel Aviv auf die Tatsache, dass Israel bisher schon von Ägypten gewünschte Änderungen des militärischen Anhanges genehmigt habe. Israel ist zwar derzeit beunruhigt über die Entwicklung in Ägypten. Doch wirklich besorgt ist Jerusalem über die Annäherung an Iran. Was passiert, wenn sich Kairo mit Teheran aussöhnt und der Iran dem Nilstaat Milliardenhilfe bietet anstelle der USA?

Doch mit sofortiger Wirkung hat die Wahl Mursis aus israelischer Sicht bereits einen Schlusspunkt unter eine andere Ära gesetzt: Falls in Zukunft Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgeschossen werden, kann Israel nicht mehr wie bisher mit Vergeltungsschlägen der Luftwaffe oder dem Einmarsch in den Gazastreifen antworten. Ansonsten würde Israel den Friedensvertrag mit Ägypten aufs Spiel setzen, lautet die Lesart in Tel Aviv. Die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas begrüßte Mursis Sieg daher überschwänglich. Hamas, die sich in den letzten zwei Jahren und insbesondere seit Mubaraks Sturz vom Iran loslöst, setzt nun auf das neue Regime in Kairo. Dies hat wiederum dazu geführt, dass zwar die Palästinenserführung in Ramallah offiziell Mursi gratuliert hat, aber in Wirklichkeit durch die sich abzeichnende Szenerie zutiefst beunruhigt ist: Wenn Kairo die Hamas in Gaza stützt – anstatt wie bisher zwischen den Radikalislamisten und der Fatah zu vermitteln – dann scheint eine innerpalästinensische Aussöhnung schwieriger denn je.

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