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Politik: Anschauungsunterricht in Ostmitteleuropa (Gastkommentar)

In Wiesbaden wurden die letzten Vorbereitungen für den Staatsakt zum Jahrestag der deutschen Einheit getroffen, in der Berliner Arena-Halle schien es, als lebe die DDR noch: "Erich, Erich, Erich" skandierten Junge und Alte in NVA-Uniformen und FDJ-Blauhemden. Sie amüsierten sich köstlich bei alten Schlagern und Rotkäppchen-Sekt aus Mitropa-Beständen.

In Wiesbaden wurden die letzten Vorbereitungen für den Staatsakt zum Jahrestag der deutschen Einheit getroffen, in der Berliner Arena-Halle schien es, als lebe die DDR noch: "Erich, Erich, Erich" skandierten Junge und Alte in NVA-Uniformen und FDJ-Blauhemden. Sie amüsierten sich köstlich bei alten Schlagern und Rotkäppchen-Sekt aus Mitropa-Beständen. Neben Honecker und Ulbricht sorgten internationale "Helden" für Begeisterung, voran Stalin. "Der Kerl hat doch eine Menge geleistet", belehrte mich ein Mann Mitte 40 mit rotem Tuch um den Hals. Am Stand mit DDR-Literatur drängte mir eine 45-jährige Lehrerin ihr Credo auf: "In der DDR hatte ich Arbeit und Geborgenheit - deshalb wähle ich heute die PDS."

Die Ex-Kommunisten sind nicht nur bei "ewig Gestrigen" salonfähig. In Ost-Berlin hat die PDS mit fast 40 Prozent ihre Führung ausgebaut, in Sachsen und Thüringen die SPD vom zweiten Platz verdrängt. Mit Erfolg präsentiert sie sich als Protestverein, der Unterdrückte und Verlierer in Schutz nimmt. Ob Transsexuelle, Rentner, kinderreiche Familien, von der Nato malträtierte Serben oder Arbeitslose - sie alle würden vom sozialistischen Wunderhorn profitieren, wenn nur die PDS an die Macht käme. Rein rechnerisch hätte ein rot-rot-grünes Bündnis in Berlin eine Mehrheit. Doch diese Konstellation lehnen die meisten ab. Selbst Gregor Gysi sagt, dies sei "keine Frage von heute". Vielleicht hilft Anschauungsunterricht in Ostmitteleuropa. Dort wurden die wundervollen Rezepte der Ex-Kommunisten durch die Beteiligung an der Regierung entzaubert.

In Polen hatte sich die Monopolpartei PZPR nach der Wende in Sozialdemokratische Partei (SdRP) umgetauft. Auf ihre Fahnen schrieb sie zunächst den Kampf gegen die marktwirtschaftlichen Reformen des polnischen Ludwig Erhard, Leszek Balcerowicz. Im Herbst 1993 wurde sie mit populistischen Wahlversprechen stärkste Partei und übernahm die Regierung. Zwei Jahre später setzte sich Aleksander Kwasniewski, früher kommunistischer Sport-Minister, als Präsident gegen den Helden der Wende, Lech Walesa, durch. Doch die Gegenrevolution blieb aus. Entgegen ihren Versprechen setzten die Ex-Kommunisten die liberale Wirtschaftspolitik fort, schwenkten auf NATO-Kurs ein. Und als sie die nächste Wahl verloren, räumten sie ganz demokratisch die Machtpositionen. Gleiches spielte sich in Ungarn ab. Der Ex-Kommunist Gyula Horn eroberte die Macht mit realitätsfernen Zusagen, vollendete dann aber die Wende, trieb die Aufnahme in Nato und EU voran.

Sollen die Deutschen dem Beispiel der Polen und Ungarn folgen und die PDS in die Verantwortung zwingen, um ihren Höhenflug zu beenden? Darin, auch das zeigt die Erfahrung in Ostmitteleuropa, liegt eine große Gefahr für die traditionsreiche Sozialdemokratie. Entzauberung hieß ja nicht, dass den Ex-Kommunisten die Wähler davonliefen, nachdem sie ihre Wahlversprechen gebrochen hatten. Sie wurden zwar abgewählt, aber waren nun als realistische politische Alternative zum bürgerlichen Lager etabliert. Das Opfer sind dort die traditionellen Sozialdemokraten. Der Erfolg der Ex-Kommunisten hat sie in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.Der Autor leitet das Berliner Büro der polnischen Nachrichten-Agentur "pap".

Jacek Lepiarz

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