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Trauernde in Brüssel.

© dpa

Anschläge in Belgien: Brüssels Tag des Terrors

Drei Explosionen, viele Tote und Verletzte. Die Täter von Brüssel haben mitten ins Herz Europas gezielt – und getroffen. Dem Schock folgen Trauer und Wut.

Immer neue Polizeifahrzeuge und Krankenwagen rasen die Rue de la Loi hinunter. Die Sicherheitskräfte haben sie direkt vor der Metrostation Maalbeek abgesperrt, wo kurz nach neun Uhr eine Explosion einen U-Bahn-Wagen zerfetzt hat. Am Himmel kreist ein Helikopter.

Die Täter haben in der Rushhour zugeschlagen. Die Zeit, wenn in Brüssel Minister, Parlamentarier, Beamte, Lobbyisten und einfache Bürger unterwegs sind. Wenn Maschinen aus ganz Europa landen, um Politiker zu den EU-Institutionen zu bringen. Die Täter haben, das steht schnell fest, mitten ins Herz Europas gezielt – und getroffen.

Zuerst zünden sie kurz vor 8 Uhr am Brussels Airport im Vorort Zaventem zwei Sprengsätze. In Panik fliehen die Menschen aus der Abflughalle ins Freie. Es dauert Stunden, bis alle gerade gelandeten Passagiere evakuiert sind, manche müssen vorerst neben den Maschinen auf dem Rollfeld ausharren – kurz darauf werden alle Flüge von und nach Brüssel gestrichen.

Zeugen des Anschlags am Flughafen Zaventem berichten Reportern der Tageszeitung „La Libre Belgique“ von einem Blutbad, es habe schlimme Verletzungen gegeben. Menschen mit abgerissenen Beinen, staubbedeckte Gesichter, Glassplitter, Schreie. Minütlich wird die Zahl der Verletzten und Toten von den Behörden nach oben korrigiert. Alphonse Youla, ein Flughafenmitarbeiter, ist seit vier Uhr morgens im Dienst, kriegt beide Explosionen mit. „Ich habe gehört, dass jemand etwas auf Arabisch gerufen hat, aber ich habe nicht verstanden, was.“ In der Halle stürzen Deckenplatten herab, Chaos bricht aus. „Ich habe geholfen, fünf Tote nach draußen zu tragen“, sagt er.

"Alles war wie weggepustet"

Der Taxifahrer Philippe Lenaerts steht mit seinem Wagen vor dem Flughafen, als er die erste Explosion hört. „Ich dachte, ein Baukran sei umgekippt. Aber zwei, drei Minuten später gab es wieder einen Knall.“ Mit einem Kollegen betritt Lenaerts das Gebäude, um nachzusehen, was passiert ist. „Alles war wie weggepustet.“ Wut kocht in ihm hoch. Zu viel Zeit sei vergangen, bis Rettungskräfte vor Ort waren, erklärt er hinterher. Für mehrere Minuten sei kein Polizist, kein Sanitäter zu sehen gewesen. „Und das, obwohl wir Sicherheitsstufe drei hatten. Typisch belgische Organisation.“ Die meisten Brüsseler sind an diesem Tag: fassungslos.

Die Bevölkerung organisiert sich schnell im Netz. Über Twitter öffnen Brüsseler ihre Wohnungen für Fremde, die wegen der Sicherheitsvorkehrungen irgendwo in der Stadt feststecken. Fahrgemeinschaften finden sich zusammen. Wie in Paris, wo sich kurz nach den Anschlägen unzählige Menschen etwa auf der Place de la République zum Gedenken an die Toten getroffen haben, wollen sich auch die Brüsseler nicht vom Terror vereinnahmen lassen. Am Mittag versammeln sich etwa 300 Menschen vor der Börse. Mit bunter Kreide schreiben sie kleine Botschaften auf den Boden, jemand hat arabische Schriftzeichen hinterlassen, schnell ist der Asphalt grün und rosa, gelb und blau. „Ihr werdet unseren Hass nicht bekommen“, „Gebete für Belgien“ und „Islam ist nicht Terrorismus“. Auf dem Platz herrscht Totenstille. Im Rest der Stadt hat sich die Situation auch gegen Abend kaum entspannt.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hatte am Morgen in einer E-Mail an alle Abgeordneten angeordnet, das EU-Gebäude nicht zu verlassen, beziehungsweise gar nicht erst hinzufahren.

Soldaten marschieren auf

Die Metrostation Maelbeek liegt mitten im Brüsseler EU-Viertel, nur wenige hundert Meter vom Parlament entfernt. Die EU-Abgeordnete Terry Reintke von den Grünen sieht mit an, wie nach den Explosionen rund ums Parlament Soldaten aufmarschieren, Polizisten schusssichere Westen überziehen. Jeder habe mit Freunden und Bekannten telefoniert und gesagt, dass es ihm gut gehe, erzählt Reintke. Und da war auch die Hoffnung – dass es das jetzt war, dass es keine weiteren Explosionen mehr geben wird. „Man blickt hier in viele traurige Gesichter“, sagt sie, „aber wir dürfen jetzt nicht anfangen, in Angst zu leben“.
Am Abend verschickt die Parlamentsverwaltung eine weitere E-Mail. Am Mittwoch könnten Mitarbeiter gern von zu Hause aus arbeiten.
Belgische Medien verbreiten schließlich Bilder einer Sicherheitskamera vom Brüsseler Flughafen. Darauf sollen Verdächtige zu sehen sein, die das Attentat verübt haben könnten. Das Bild zeigt drei junge Männer mit dunklen Haaren, die Gepäckwagen schieben. Ihre Identität ist noch nicht bekannt, aber die Angst hat nun ein Gesicht.
„Wir können kaum aufatmen, weil wir besorgt sind, dass es noch nicht vorbei ist“, berichtet eine deutsche Mitarbeiterin aus ihrem Büro nahe des Anschlagsortes. Seit Stunden harrt sie mit ihren Kollegen aus. Sie telefoniert, recherchiert im Netz, das Radio läuft. Doch die deutlichsten Signale empfängt sie durchs geschlossene Fenster. Noch immer dröhnen die Sirenen im Europaviertel. Ständig.

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