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Anschlag auf Ägyptens Innenminister: Kairos Trauma

Auf Ägyptens Innenminister Mohammed Ibrahim wurde ein Autobombenanschlag verübt. Was sagt die Tat über die Situation in dem Land?

Auch wenn Ägyptens Innenminister Mohammed Ibrahim den spektakulären Bombenanschlag in Kairo am Donnerstag unverletzt überlebt hat: Es war das schwerste Attentat seit vielen Jahren in der ägyptischen Hauptstadt und weckte die Befürchtung, die starken politischen Spannungen seit dem Sturz von Mohammed Mursi könnten sich in den nächsten Monaten in einer Welle von Terrortaten entladen. Nach offiziellen Angaben gingen am Straßenrand in kurzer Folge mehrere Sprengsätze hoch, als der Konvoi des Politikers vorbeifuhr. Mindestens ein Polizist wurde getötet, 21 Menschen verletzt, darunter ein Kind, eine britische Touristin und fünf Leibwächter. Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Die „Anti-Putsch-Allianz“, ein Zusammenschluss der Muslimbruderschaft, verurteilte das Verbrechen.

Bilder vom Anschlagsort zeigten zahlreiche demolierte Autos und Geschäfte. Die Fassaden zweier Häuser wurden stark beschädigt. Einem der Polizisten wurde ein Bein abgerissen. Wo die Bomben platziert waren, darüber gab es zunächst widersprüchliche Aussagen. Augenzeugen behaupteten, die Sprengsätze seien auf Motorrädern befestigt gewesen und ferngezündet worden. Das Staatsfernsehen dagegen meldete, die Attentäter hätten die Bomben von einem Dach auf den durchfahrenden Konvoi geworfen. Polizeikräfte riegelten sofort alle Zufahrtsstraßen zu seinem Amtssitz ab, der sich in der Nähe des Tahrir-Platzes befindet. Im Staatsfernsehen verurteilte der Innenminister die Tat als „feigen Mordversuch“. Ägypten stehe nicht am Ende, sondern am Anfang einer „Welle von Terror“, erklärte er. Der Staat aber werde diesen Kampf am Ende gewinnen. Das ägyptische Kabinett erklärte, man werde dem Terrorismus mit aller Entschiedenheit entgegentreten und sämtliche Kräfte „mit eiserner Faust bekämpfen, die die nationale Sicherheit gefährden“.

Nahe dem Anschlagsort in Nasr City hatten Polizeikräfte vor drei Wochen in einem blutigen Einsatz das zentrale Protestlager der Muslimbrüder rund um die Rabaa-al-Adawiya-Moschee geräumt und dabei mehrere hundert Menschen erschossen, die Mehrzahl gezielt durch Scharfschützen. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ sprach von dem „schlimmsten Ereignis ungesetzlicher Massentötungen in der modernen Geschichte Ägyptens“ und warf den Einsatzkräften vor, simpelste internationale Polizeistandards missachtet zu haben. Interims-Vizepräsident Mohammed el Baradei trat aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Polizei unter dem Kommando von Innenminister Ibrahim zurück und floh wenige Tage später nach Österreich.

Gleichzeitig läuft seit dem Sturz von Mohammed Mursi durch das Militär eine beispiellose Verhaftungswelle gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft. Mehr als 2000 Menschen sollen nach offiziellen Angaben inzwischen festgenommen worden sein, die Dunkelziffer liegt vermutlich erheblich höher. Die ersten 48 Verhafteten wurden diese Woche von einem Militärgericht in Suez zu Haftstrafen zwischen fünf und fünfzehn Jahren verurteilt, einer erhielt lebenslänglich. Nach Einschätzung der „New York Times“ wurden selbst unter Hosni Mubarak zu keinem Zeitraum so viele Muslimbrüder erschossen oder verhaftet wie unter der neuen Führung. Gleichzeitig schloss die Justiz diese Woche drei islamistische Fernsehsender und die ägyptische Filiale von Al Dschasira, die als einzige TV-Station noch Bilder von Demonstrationen der Muslimbrüder sendete. Martin Gehlen

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